Waffen gegen die Freiheit und die Wahrheit

Die Sprache verbirgt den Sinn, sagt Wittgenstein/ Die Sprache von Slobodan Milošević birgt stalinistische wie auch faschistische Elemente/ Die benutzten Symbole wurden in der serbischen Gesellschaft angenommen  ■ Von Rajko Djurić

Slobodan Milošević war kein „erwählter Führer“. Es gelang ihm aber, viele Menschen an sich zu binden. Um diese Bande zu festigen und zu stärken, griff Milošević zu verschiedenen „Rezepten“. Manche von ihnen waren im Stalinismus entwickelt worden, manche aber finden sich auch im Nationalsozialismus und Faschismus.

Liest man aufmerksam in dem Buch „Godine raspleta“ (Jahre der Lösung), die gesammelten Reden von Milošević, gewinnt man den Eindruck, daß er bereits seit 1984 – als er zum Vorsitzenden des Stadtkomitees des Bundes der Kommunisten Belgrads gewählt wurde – eine Regel befolgte, die Nietzsche in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ verspottet hat. Dort heißt es: „Verdrehen bedeutet für ihn beweisen. Verführen bedeutet für ihn überzeugen.“

Als er bemerkte, daß das den Massen gefiel, benutzte er auch das „Blut als bestes aller Argumente“. Die Reden, die Slobodan Milošević zwischen 1984 und 1989 gehalten hat, sind besonders aufschlußreich

Wald und Geschichte

Zum ersten Mal trat Milošević öffentlich vor den Bürgern von Požarevac auf, der Stadt, wo er am 20.August 1941 geboren wurde. Anlaß war die 250-Jahr-Feier der dortigen Schule, die er besucht hatte, bevor er an der Juristischen Fakultät in Belgrad studierte. Die Rede wurde unter dem Titel „Škola i buna“ (Schule und Aufstand) veröffentlicht. Indem er seinen Mitbürgern darlegte, daß in der Vergangenheit Serbiens, d.h. in der Zeit, als die Schule eröffnet wurde, ein „unzerreißbares Band“ zwischen „Schule und Aufstand“ bestand, formulierte Milošević folgenden scheinbar nebensächlichen Satz: „Durch die ganze Geschichte des serbischen Volkes gebührt dem Wald ein großes Verdienst.“ Milošević knüpfte ein „Band“ zwischen Wald und Geschichte.

Der „Wald“ ist das Zeichen der Zeichen, d.h. ein Symbol. „Wald“ ist in diesem Fall kein diskursives Symbol, sondern ein Bild, das für den Redner eine tiefere, um mit ihm zu sprechen, „historische“ Bedeutung hat.

Forscher verschiedenster Disziplinen – von den Folkloristen bis zu den Psychoanalytikern und Semantikern – haben festgestellt, daß der „Wald“ als Symbol gewöhnlich die Funktion hat, die Grenze zwischen „dem Eigenen und dem Fremden“ zu bezeichnen, aber auch eine Theaterbühne oder einen geheimnisvollen Ort, „wo sich Geister und Hexen versammeln“. Für Psychoanalytiker, besonders Jung, ist dieses Symbol Ausdruck einer unterdrückten unbewußten Aggression. Einige der erwähnten Bedeutungen offenbaren sich sehr deutlich in der politischen Tätigkeit von Slobodan Milošević.

In „Masse und Macht“ hat Elias Canetti den Wald als „Massensymbol“ charakterisiert. Viele Aspekte dieses Symbols in Canettis Buch sieht man im einstigen Jugoslawien sozusagen wie auf der Hand, und Milošević selbst, schon im Licht dieses Symbols, erscheint als „Stamm“, als „aufstrebender Herrscher“, dessen Ideal „gleiches Wachstum und Einigkeit“ ist. (Das Wort „Einigkeit“ erscheint 136mal in seinen Reden!) Nur daß ein solcher, einem unerschütterlichen Baumstamm gleichender Herrscher sehr gefährlich ist – wie Canetti schreibt – für sein Volk, „...das sich bis zum letzten Mann in Stücke hauen läßt, bevor es einen Fußbreit Boden aufgibt“ („Masse und Macht“). Mit seinem bisherigen Vorgehen hat Milošević auch das überzeugend bewiesen.

Viele Symbole und paradigmatischen Ausdrücke aus den Reden von Nationalsozialisten und Faschisten finden sich in den Reden von Slobodan Milošević wieder. Zum Beispiel „Entschlossenheit“ (von Mussolini häufig gebraucht), „Mobilisierung“, „Herz“, „große und rasche Veränderungen“, „Schnelligkeit“, „Feuer“, „Flamme“, „Reichtum“ (Symbole, die von Canetti ebenfalls analysiert wurden), dann „Aufstand“, „Kampf“, „Krieg“. Als diese Symbole tiefe Wurzeln geschlagen und die Massen ergriffen hatten, sagte Milošević auch diesen Satz: „Es stimmt, daß die Sternstunden unserer Geschichte mit der Zeit der Kriege und Aufstände, des Widerstands und Zorns verbunden sind“ („Godine raspleta“, S.247).

In seiner Rede „Die Zukunft wird dennoch schön sein, und sie ist nicht fern“ hat Milošević in Erinnerung an die kriegerische Vergangenheit der jugoslawischen Völker auch einen Satz gesagt, der vermutlich Erich Fromm tief zu denken gegeben hätte. Er lautet: „Das ganze Entsetzen des vierjährigen Krieges trägt in sich ein großes, ewiges, unvergängliches Licht ...“ („Godine raspleta“, S.168). Schon in dieser Rede vom September 1987 erklärte er: „Uns stehen neue Schlachten bevor.“ Bei der Gedenkfeier zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld am 28.Juni 1989 wurde er deutlich: „Sechs Jahrhunderte danach, heute, stehen wir wieder in Schlachten und vor Schlachten. Sie sind nicht bewaffnet, aber auch solche sind noch nicht auszuschließen.“

Die Sprache hat Wirkung

Die Reden von Milošević zeigen, daß er durch den Gebrauch von Symbolen zuerst Veränderungen im Gefühlsregister der Menschen (Freude, Angst, Trauer, Hoffnung) bewirken wollte, dann zeichneten sich auch Veränderungen ihrer Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit ab. Dank einer mächtigen Propaganda prägten sich diese Symbole den Menschen in Serbien als Merkmale ihres wirklichen historischen, sozialpolitischen und kulturellen Umfelds ein, so daß viele von ihnen physiologisch und physisch reagierten und dadurch ihrem „Führer“ signalisierten, daß sie zum Krieg bereit waren.

Indem er in seinen Reden bestimmte Symbole verwendete, stellte Milošević eine Kommunikationsform zu den Massen nach dem Modell her, das von Victor Klemperer im Buch „LTI“ („Lingua tertii Imperii – Die Sprache des Dritten Reiches“ beschrieben und erläutert wurde. Den Weg gehend, den Milošević mit seinen engsten Mitarbeitern vorgezeichnet hatte, gelangte das serbische Volk in eine Lage, die den Bildern und der Bedeutung der erwähnten Symbole ähnelt oder mit ihnen identisch ist. Mit anderen Worten, Milošević verwandelte Symbole in eigentümliche Waffen gegen die Wahrheit und Freiheit. Anfangs konnte das Volk diese „Masche des Todes“ nicht bemerken, die bereits zur Schlinge geworden ist.

Ob auch der Kopf von Slobodan Milošević in diese Schlinge geraten wird? – das ist eine Frage, auf die es noch keine zuverlässige Antwort gibt. Wenn es dazu kommt, dann wird es weder mit Hilfe von Symbolen noch auf symbolische Weise geschehen.