„Ungezügelter Zustrom“

■ Die Sprache der Ansprache bei der Civis-Preis-Verleihung

Die Medien als „vierte Gewalt“ zu sehen – bei diesem Begriff überläuft Friedrich Nowottny, den ARD-Vorsitzenden, eine Gänsehaut. 54 Jahre nach dem Tag der Pogromnacht am 9. November wurde am Montag in Köln der Civis-Preis – Hörfunk- und Fernsehpreis für eine bessere Verständigung mit Ausländern – verliehen (s. taz von gestern). Und es war der Tag nach der Großdemo in Berlin. Nowottny sagte in seiner Begrüßungsrede, daß seine Hoffnung, daß eine intensivere „Auseinandersetzung mit der Ausländerproblematik“ mehr Verständnis füreinander schaffen werde, enttäuscht worden sei. Das Gegenteil sei der Fall: „Es hat sich vieles hin zum Negativen verändert seit der ersten Civis-Preis-Verleihung vor fünf Jahren.“ Der Intendant sieht den Journalismus pessimistisch: „Die Medien können weder den ungezügelten Zustrom von Asylbewerbern regulieren“, noch könnten sie Gewalttäter beeinflussen – das täten „Psychologen, Sozialarbeiter und Seelsorger“.

Daß die Medien inklusive der Wahl von Begriffen wie „Zustrom“ das Denken von Hörern/ Zuschauern/Lesern beeinflussen, ließ der Intendant des größten ARD-Senders WDR unerwähnt. Nachlässigkeiten gab es auch angesichts des Geschlechts der Hörspielautorin Alpin Türköz: Die bei der Preisverleihung erwähnte Kölnerin ist eine Frau, auch wenn es ihr türkischer Name dem Vorsitzenden der Hörfunk-Jury, Klaus von Bismarck, offenbar nicht gleich vermittelte.

Von „Fremdenhaß“ sprach der als Festredner geladene polnische Schriftsteller Andrezej Szczypiorski: „Ich fühle mich zum ersten Mal seit Jahren in Deutschland unsicher und unbequem.“ Schärfer fiel die Warnung von Ralph Giordano, dem Vorsitzenden der Jury des Fernsehpreises, aus. Gegen Linksradikale habe der Staat keine Zurückhaltung gezeigt, aber angesichts der Gewalt von rechts erscheine „das Gewaltmonopol des Staates als Papiertiger, der von den rechtsextremen Gewalttätern verspottet wird“. Eine offenbar, so Giordano, „systemimmanente Schwäche“. Vehement und unmißverständlich sprach der Journalist von der Sorge der jüdischen Überlebenden. Diesmal aber werde man sich wehren, sagte Giordano, „bis hin zur Selbstbewaffnung“, falls sich der Staat nicht gegen die Gewalttäter durchsetze. Mangelnder Schutz werde außerdem internationale Konsequenzen haben: „Die Überlebenden werden sich schützen! Ich warne die Verantwortlichen.“ Marianne Lange