Das ziemlich besondere Orchester

■ Sie haben und wollen seit 10 Jahren keinen Chef, und sie sind Allein-BesitzerInnen der Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

taz: Ihr seid ein Orchester mit Selbstverwaltung. Zahlt Ihr Euch Einheitslohn?

Jürgen Winkler (Bratsche): Die Musikern ja — ungefähr zwei Drittel von dem, was ein normales A-Orchester bezahlt.

Warum nehmt Ihr das in Kauf?

Beate Weis (Geige): Ich hatte früher eine Stelle im Süddeutschen Rundfunk-Orchester, als Geigerin, aber dies hier ist wesentlich befriedigender. Man kann sich viel besser einbringen, man geht nicht unter in einem Haufen von 20, 30 Geigen.

Produziert die Selbstverwaltung auch einen anderen Klang, oder ist das nur der nettere, der selbstbestimmte Weg zur gleichen Interpretation?

Klaus Heidemann (Bratsche): Ich persönlich finde: ja — weil es ein kleines Orchester ist, weil sich jeder voll engagiert.

Thomas Klug (Geige): Es gibt ja Wünsche und Entscheidungen vom Orchester, bestimmte Stücke zu spielen, auf eigene Faust, oder mit selbstgewähltem Dirigenten. Es heißt nicht 'morgen muß ich Eroica spielen', sondern 'ich will Eroica spielen': ein großer Unterschied.

Es ist ja ganz ungewöhnlich, daß ein Orchester sich seine Dirigenten, immer andere, einfach selbst aussucht.

Klaus Heidemann: „Den“ Chef für alle Bereiche der Musik, zwischen Barock und Neuer Musik, die wir abdecken wollen, den gibt es eben nicht. Und: Wir wollen uns nicht auf eine Art Repertoire festlegen lassen.

Beate Weis: Wir spielen auch ganz ohne Dirigent, wie am Montag in der Glocke. Ein ganz tolles Erlebnis! In großen Orchestern verläßt man sich doch auf den Dirigenten, automatisch, man sitzt eben drin, und hier ist man sehr aktiv beteiligt.

Wie wird man nach den Gesetzen der Basisdemokratie 1. Geiger?

Thomas Klug (Konzertmeister): Vor 10 Jahren wollten wir keinen bestimmten Konzertmeister, jeder von den Geigen wollte mal, aber erstens sind nicht alle dazu in der Lage, und zweitens ist es nicht gut, in einem Konzert für verschiedene Stücke mehrere Konzertmeister zu haben. Ich habe angeboten: verpflichtet mich mit halber Stelle als Konzertmeister, die andere Hälfte bleibt für Interessierte im Orchester oder von außen.

Wenn man 100prozentig autonom ist wie Ihr — ist das nicht vor allem die Freiheit, arm zu sein? Zu den 1,2 Millionen Subventionen müßt Ihr im Jahr 2,5 Mio. auf dem freien Markt einspielen. Und: Seid Ihr gerade auf diese Art „frei“ in Eurem Repertoire auf Tournee?

Jürgen Winkler: In unseren eigenen Musikreihen, in Bremen und in München etwa, spielen wir unser eigenes Programm. Die eine oder andere Tournee wird dann auch mal ein reines Mozart-Programm, nicht nur des Geldes wegen! Das verkauft sich dann auch gut. Und für die Tournee mit Fischer-Dieskau sind die Konzerte schon verkauft, bevor man weiß, was wir spielen werden nächstes Jahr.

Aber wär' es nicht doch schön, mehr Geld zu haben und weniger Kohle anschaffen zu müssen?

Thomas Klug: Dann würden wir uns einreihen in die Vielzahl der Kammerorchester mit einem oder zwei Programmen im Jahr, die das am Ende wirklich nicht mehr hören können. Und: Wenn man nach 'Kohle' strebt, sollte man in diesem Orchester nicht spielen. Und ich glaub', bei Euer Zeitung auch nicht.

Musik ist aber hierarchisch: Haupt- und Nebenstimmen, Sitzordnung...

Beate Weis: Hierarchien gibt es bei uns sowieso nicht, weil sich die Geigen in zwei Gruppen aufgeteilt haben, und wir wechseln ständig bei jedem Projekt die 1. und 2. Geige; es gibt auch keine feste Sitzordnung.

Ihr habt angekündigt, Ihr wollt rausgehen, in Bremer Schulen und Kliniken spielen.

Jürgen Winkler: Ja. Gestern hat der Schlachthof bei uns angefragt, nicht gerade ein Ort klassischer Musik bisher: Die Leute kommen schon auf uns zu und nehmen uns beim Wort!

Thomas Klug: Krankenhäuser, Altenheime — oder: Volksschul-Kurse: wie spielt man Streichquartett?, eine Probe hören, ein Werk begleiten, mit Hochschul-StudentInnen etwas erarbeiten... Wir wollen mit den vielen Initiativen, die es hier gibt, zusammenarbeiten — oder eine Nische finden. Nicht stören, eher produktive Unruhe bringen.

Ein Dirigent, das ist schließlich sein Beruf, muß eine klare musikalische Vorstellung haben von der Interpretation, dem Tempo, der Besetzung — paßt das zu Eurer Struktur?

Klaus Heidemann: Wenns nicht klappt, würde er nicht mehr eingeladen!

Thomas Klug: Wir haben einen 1. Gastdirigenten für eine gewisse Zeit pro Jahr gewählt, Heinrich Schiff, der mit uns Projekte macht. Mit den Dirigenten oder Coaches hatten wir bislang nie Pech. Wenn jemand ein gutes Konzept hat, dann ist das Orchester offen genug, das zu erkennen. Ein 'wir haben das aber 20 Jahre anders gespielt' gibt es nicht, wie auch! Fragen: S.P.