Grüne Entente für die Reise ins Palais Bourbon

■ Frankreichs Ökoparteien einigen sich auf Bündnis für die Parlamentswahlen

Paris (taz) – „Jetzt hört endlich auf mit den Detailfragen, wir sind doch alle einer Meinung. Laßt uns abstimmen!“ In seiner Ungeduld trifft der Chef des Parteiverbands Maine et Loire den Nerv: Wichtigster Punkt dieses ersten Parteitags der französischen Umweltpartei Génération Ecologie (GE) in einem Pariser Vorort ist schließlich das geplante Wahlbündnis mit Les Verts. Erleichtert brechen die Delegierten am vergangenen Wochenende die inhaltliche Diskussion ab. Die Abstimmung ist nur noch Sache von Sekunden: eine Neinstimme, drei Enthaltungen – die 500 Kongreßteilnehmer brechen in Jubel aus: „L'écologie en Assemblée“, schallt es minutenlang – „Umweltparteien in die Nationalversammlung“.

Über die Parlamentswahlen vom März hinaus weist eine weitere Empfehlung: „Génération Ecologie wünscht einen gemeinsamen Kandidaten der Umweltparteien für die Präsidentschaftswahl 1995.“ Daß das ihr Parteigründer, der frühere Umweltminister Brice Lalonde sein soll, ruft nur noch die Hälfte der Anwesenden in den Saal, wohlwissend, daß die andere Umweltpartei Les Verts allergisch auf Lalondes Ambitionen reagiert.

Nervös hatte Génération Ecologie mit der Abstimmung gewartet, bis die Entscheidung von Les Verts bekannt war, die gleichzeitig in Chambéry tagten. Denn die Beschlüsse der Schwesterpartei sind unvorhersehbar. Tatsächlich drehten und wendeten über 50 Redner in Chambéry das Für und Wider des Abkommens. „Lieber die Wahlen verlieren als seinen Geist“, warnte eine Banderole. Die ParteisprecherInnen Waechter und Voynet, die beide für das Abkommen eintraten, mußten viel Überzeugungskraft aufbringen. „Es handelt sich nicht um einen Ehevertrag, und jede Partei wird ihr Erbteil behalten“, versuchte Waechter die Zweifel zu beschwichtigen. „Es ist doch nur eine Entente für eine Reise ins Palais Bourbon“, den Sitz der französischen Nationalversammlung. Eine gemeinsame Zukunft sei nicht vorprogrammiert. „Wir müssen den Kurs der Autonomie wahren“, lautet nach wie vor Waechters Credo – anders als Voynet hat er Angst, daß sich die Linie der Grünen im Bündnis mit GE verwässern könnte. Die Grünen wollen endlich im Parlament Einfluß auf das politische Geschehen in Frankreich nehmen: 70 Prozent der Delegierten billigten das Wahlbündnis, 26 Prozent stimmten dagegen.

Damit haben die Ökoparteien den Weg für einen Wahlerfolg geebnet. Sie hoffen auf 20 Prozent der Stimmen und auf 20 bis 40 Abgeordnete. Anders als bei den Regionalwahlen vom März (dabei erzielten GE 7,1, Les Verts 6,8 Prozent) gilt bei den Parlamentswahlen das Mehrheitswahlrecht, das kleine Parteien von einer Vertretung in der Nationalversammlung ausschließt. Die Umweltparteien wollen nun in allen Wahlkreisen gemeinsam eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufstellen. Im zweiten Wahlgang soll sie oder er – wo das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von 12,5 Prozent der Stimmen erreicht ist – an der Kandidatur festhalten. Abkommen mit anderen Parteien sind ausgeschlossen.

Diese kompromißlose Taktik setzte Lalonde durch. Seine Begründung: „Wir haben die Grünen überflügelt, jetzt strecken wir ihnen die Hand entgegen. Ich schlage vor, dasselbe auch mit dem nächsten zu tun.“ Gemeint sind die Sozialisten, die Lalonde nun überflügeln will. Zunächst dürfte seine Strategie jedoch den Bürgerlichen nutzen. Lalonde, der der PS den Kampf angesagt hat und selbst Pilot einer großen parteipolitischen Umstrukturierung sein möchte, wird daher ein Rechtsruck vorgeworfen. Aus Protest gegen dieses „niedrige Spiel“ und den „Personenkult“ um Lalonde traten zwei Mitbegründer von GE am Wochenende während des Kongresses aus der Partei aus.

In ihrem Wahlbündnis haben die beiden Umweltparteien einen Minimalkonsens für eine gemeinsame Politik formuliert: Zur „Demokratisierung der französischen Gesellschaft“ verlangen sie die Einführung des Verhältniswahlrechts, des Referendums auf Initiative des Volkes, eine stärkere Dezentralisierung. Sie propagieren die 35-Stunden-Woche und Anreize zur Teilzeitarbeit. In der Agrarpolitik müsse „das Recht auf Produktion geteilt“ werden. Die Energiepolitik müsse sich „mit der Zeit“ von der Atomenergie lösen – damit sind Les Verts von ihrer Forderung eines Ausstiegs binnen zehn Jahren abgerückt. Eine weitere Wende haben sie beim lokalen Wahlrecht für Immigranten vollzogen: dieses Ziel taucht in dem gemeinsamen Programm nicht auf. Bettina Kaps