Er sei „den Menschen nahe und den Dogmen fern“, erklärte Parteichef Björn Engholm den Delegierten des Bonner SPD-Sonderparteitags. Die SPD „will und wird dieses Land so schnell wie möglich regieren“ – Balsam auf die Wunden der versammelten SozialdemokratInnnen, die, so schien es, vor allem eines wollten: die zermürbende Debatte um Asyl und deutsche Blauhelme ohne Gesichtsverlust hinter sich bringen und sich mit „neuem Kurs“ um Käpp'n Engholm scharen.

Eintracht SPD

In der ersten Reihe sitzt Ignatz Bubis. Als er am Morgen auf dem Sonderparteitag der SPD begrüßt wird, geben die Delegierten mit ihrem Beifall gleichsam eine Erklärung ab. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland wird noch vor dem Parteivorsitzenden sprechen, er als einziger hat in der Bonner Beethovenhalle Gelegenheit zu einem Grußwort. Ansonsten wird in Bonn zwei Tage lang ein schmuckloser Parteitag abgehalten. Die Delegierten arbeiten sich durch das Sofortprogramm für die nächste Bundestagswahl.

Seit dem Asylthema vor einer Woche der Streit abhanden gekommen ist, fehlt die Spannung. Aber erkennbar will die Partei zeigen, daß auf die Sozialdemokratie Verlaß ist, wenn es um Demokratie und Toleranz geht.

„Dieser Rechtsstaat, diese Demokratie, muß verteidigt werden“, sagt Bubis. Der SPD, die sich nach Petersberg die kritische Frage gefallen lassen mußte, ob nicht auch sie Stimmungen von rechts nachgibt, bescheinigt Bubis, daß sie „Entscheidungen von großer Tragweite für unser Land“ zu treffen habe. Wohl zur Erleichterung der Delegierten geht Bubis auf Näheres nicht ein. Er appelliert vom SPD-Parteitag aus an alle demokratischen Parteien, sie mögen „so schnell wie möglich zu einem Konsens kommen. Sonst droht uns Weimar.“ Von der SPD erwartet er „eine weise Entscheidung“.

Dann der Auftritt des Parteivorsitzenden. Björn Engholm, wer hätte das ausgerechnet von ihm gedacht, hatte die SPD mit den Petersberger Empfehlungen in einen heftigen Konflikt gestürzt – er beweist an diesem Tag, daß er seine Partei gut kennt. „Der Feind steht rechts“, ist das erste Credo seiner Rede, dem die Delegierten heftig zustimmen – ob sie für die Änderung des Artikels 16 waren oder nicht. Nach drei Monaten Streit trifft das verbindende Bekenntnis gegen Gewalt und Intoleranz die Wünsche der Delegierten: „Die Partei Schumachers, Brandts, Wehners, Schmidts und Vogels wird nicht zulassen, daß sich die deutsche Geschichte wiederholt. Dafür stehen wir gerade.“ Die Gefahr von rechts will die SPD „mit aller Härte des Gesetzes“ bekämpfen. Den letzten Satz: „Das gilt auch für die Gewalt von sogenannten Autonomen“, läßt Engholm in Abweichung vom Manuskript weg. Er wäre nicht gut angekommen.

Die deutsche Integration – seit Wochen bedauert Engholm, daß die Vorschläge seiner Partei wegen der Asyldiskussion nicht wahrgenommen werden – ist das Kernstück seiner Rede. „Der Mond ist noch zu nah“ als Ort, an den Engholm die Bundesregierung jagen möchte, weil sie komplett versagt habe. Die SPD reagiert mit dankbarem Beifall – ihr Bedarf an Volkstümlichkeit ist ungestillt. Jede der wenigen Gelegenheiten, die der norddeutsch-kühle Engholm in dieser Hinsicht gibt, wird freudig honoriert. Von den „wechselseitigen Zumutungen“, kündigt Engholm an, sei beim Thema deutsche Einheit zu reden. „Wer glaubt, die Heranziehung der oberen Zehntausend reicht aus, der irrt genauso wie diejenigen, denen immer nur die kleinen Leute einfallen, wenn es um die Verteilung der Kosten geht.“

Handfester wird der Chef der SPD indessen nicht, und seine Partei will es auch nicht. Riesiger Beifall immer dann, wenn Engholm auf die klassische Rolle der SPD abhebt. Typisch die Formel: „Jeder weiß, daß der Aufbau in den neuen Bundesländern vielen Menschen vieles abverlangt. Aber dabei muß es gerecht zugehen.“ Neue Töne enthält Engholms Rede allenfalls dann, wenn er mit Verweis auf die USA, den alten New Deal und den neuen Clinton vorsichtig einen neuen Reformentwurf andeutet, zu einer Reformbewegung aufruft, ohne jedoch deutliche Konturen angeben zu können.

Den Gegenstand des wochenlangen Streits, das Thema Zuwanderung und Asyl, handelt Engholm bündig ab. „Eine Diskussion, die der SPD zur Ehre gereicht.“ Da stimmen die Delegierten gerne zu, daß „auch anderen gut geraten wäre, wenn sie so leidenschaftlich mit sich selbst ins Gericht gegangen wären“. Die SPD wolle nicht eine Antwort geben, sondern ein Paket für Zuwanderung: Wahrung des Individualrechts, Zuwanderung, Erleichterung der Einbürgerung ...

Erst ganz am Ende seiner Rede kommt der Parteivorsitzende noch einmal auf diese Auseinandersetzung zurück. Engholm selbstkritisch: Es hätte vielleicht demokratischer zugehen können. Aber: „Ersparen konnten wir uns diese Auseinandersetzung auf keinen Fall.“ Für Engholmsche Verhältnisse beinahe spitz, bemerkt er, daß „ich, vielleicht auch Hertha oder andere, schon vor einem Jahr die Frage hätten stellen sollen“. Mit den „anderen“ konnte sich sicher auch Alt-Chef Vogel gemeint fühlen. Der SPD-Vorsitzende schloß seine Rede: „Bleiben wir, wie Willy Brandt war: links und frei.“ Der Parteitag der Sozialdemokraten antwortete mit langem Beifall.

Willy Brandt übrigens spielte nicht nur im Parteitagsmotto eine Rolle. Zum Auftakt des Parteitages wurden lange Zitate Brandts vorgetragen und insbesondere solche, die den Konflikt der letzten zwölf Wochen illustrierten. Für die SPD, befand Brandt in einer seiner zitierten Reden, sei im Zwiespalt zwischen Grundsätzen und Macht am Ende doch wichtiger, recht zu bekommen, als recht behalten zu haben.

Tissy Bruns