■ Die Demontage des Richters im Honecker-Prozeß
: Alles erst Vorspiel

Alle boshaften und frohlockenden Vorahnungen bestätigen sich. Richter Hansgeorg Bräutigam scheitert an seinem so sehr gewünschten Prozeß, bevor dieser eigentlich begonnen hat. Kein Stoph, kein Mielke. Der Vorwurf der Verteidigung, daß der Vorsitzende den Prozeß um jeden Preis führen wolle, wird bildhaft durch das Ausscheiden der alten, kranken Männer. Sie lassen die Frage zurück, ob man sie hier überhaupt vorführen mußte, und potenzieren das Unbehagen, den tatsächlich todkranken Honecker fürderhin antreten zu lassen.

Man erinnere sich an den zweiten Prozeßtag. Honecker sprach: „Jetzt kann ich nicht mehr“, und schon war der Termin beendet. Das entspricht nicht dem bisherigen Verhalten des Richters, der einer Haftverschonung so vehement entgegentritt. Mag sein, daß Bräutigam es inzwischen bereut, eine Haftverschonung abgelehnt und so der Verteidigung billige Argumente geliefert zu haben. Sollte Honecker nun während der Verhandlung zusammenbrechen, werden auch die letzten Befürworter eines Prozesses gegen die Männer des Nationalen Verteidigungsrats abspringen.

Aber Gemach. Die Demontage des Richters ist allzu leicht und mit viel Erfolg von der Verteidigung vorbereitet worden. Die gängigeren Argumente sind auf ihrer Seite, der Mangel an Souveränität des Richters tut das seine. Nicht nur der humanitäre Aspekt, sondern auch die rechtsstaatlichen Erwägungen gegen eine Verurteilung scheinen für sie zu sprechen.

Doch der Prozeß hat noch gar nicht begonnen. Die Sünden des Vorspiels sagen nichts aus über den ersten Akt, der beginnen wird, wenn die Anklage verlesen wird und die Angeklagten zu Wort kommen. Daß Honecker und Konsorten als Häupter eines als souverän anerkannten Staates vielleicht nicht verurteilt werden können, steht der Durchführung dieses Prozesses gerade nicht entgegen. Das ist die Grundvoraussetzung jedes Prozesses: die Frage der strafrechtlich relevanten Schuld bleibt – zumindest idealiter – bis zum letzten Tag offen. Nicht zu vergessen ist im übrigen, daß auch die Verteidigung nicht die Einstellung des Verfahrens gegen Honecker fordert, sondern dessen Haftverschonung. Ansonsten beginnt sie, als gedenke auch sie diesen Prozeß zu führen, mit einem Befangenheitsantrag. Julia Albrecht