Rechtsextremismus „kein Randphänomen“

■ Heitmeyer auf Tagung des Verfassungsschutzes: Polizei kann Problem nicht lösen

Vor einer Fehlanalyse der wachsenden Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Gewalt hat der Bielefelder Sozialwissenschaftler Professor Wilhelm Heitmeyer gewarnt. Die Fremdenfeindlichkeit dürfe nicht zu einem „Randproblem umgedeutet“ werden. „Die Ursachen seien inmitten unserer hochmodernen Gesellschaft zu suchen, mit deren Veränderungen die Menschen vielfach nicht mehr mithalten könnten“, sagte Heitmeyer auf einer Veranstaltung des niedersächsischen Verfassungsschutzes in Hannover.

Mit einer Aufrüstung von Polizei und Verfassungsschutz sei das Problem des Rechtsextremismus nicht zu lösen, erklärte Heitmeyer vor rund 200 Vertretern von Sicherheitsbehörden, Bundeswehr und Justiz aus ganz Deutschland. Auch ein Verbot rechtsextremistischer Organisationen sei zwar ein Signal an das Ausland und die Ausländer in Deutschland, beseitige aber nicht die sozialen Ursachen für die zunehmende Gewaltbereitschaft Jugendlicher, betonte Heitmeyer, dessen Thesen im Publikum zum Teil sehr reserviert aufgenommen wurden.

Die hochindustrialisierte Gesellschaft verändere sich rasant, während die Menschen, vor allem Jugendliche, sich „im Schneckentempo“ fortentwickelten. Resultat seien Orientierungslosigkeit, Ohnmachtsgefühlen, Vereinzelung und Gleichgültigkeit. Dies bilde gerade bei jungen Menschen den Boden für die Suche nach Stärke, Anlehnung an einfache Parolen und Vorurteile gegen Andere, um das eigene Ego zu stärken.

Heitmeyer forderte eine „öffentliche und souveräne Debatte“ aller gesellschaftlichen Gruppen von der Politik, über Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirche bis hin zu den Sicherheitsorganen über die Ursachen von Gewalt und Rechtsextremismus. Alle wirkten mehr oder weniger „paralysiert“ im Angesicht der täglichen Gewaltaktionen. Demonstrationen wie in Berlin und Bonn seien zwar notwendig „als erster Schritt“, signalisierten aber zunächst kaum mehr als einen „schwärmerischen Antirassismus“.

Staatssekretär Claus-Henning Schapper (SPD) vom niedersächsischen Innenministerium stimmte Heitmeyer zu, den Rechtsextremismus nicht als Randproblem abzutun. Gleichzeitig müsse aber der Staat gegen die Gewalttaten vorgehen. Beide Wege, die offene Diskussion über die Ursachen als auch der Einsatz staatlicher Gewalt, müßten gegangen werden. Der Anstieg rechtsextremistischer Gewalttätigkeiten in diesem Jahr sei bedrückend. Bis zum 8. November seien 1.760 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund registriert worden, bereits wesentlich mehr als im gesamten Vorjahr (1.483). dpa