Lange Irrfahrt eines heimatlosen Löwen

■ Der Flensburger Löwe ist schon lange zu Besuch in Berlin und steht gleichzeitig in Kopenhagen – nur in Flensburg fehlt er

Da sitzt er nun am Wannsee, der „Flensburger Löwe“. Die freundlich dreinblickende Großkatze von 3,80 Meter Höhe des dänischen Bildhauers Hermann Bissen sieht so aus, als ob sie keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Kann sie auch nicht, denn schließlich ist sie ja ein Denkmal. Allerdings eins mit einer besonders merkwürdigen Vergangenheit, denn der Flensburger Löwe, der am Ende der Straße „Zum Heckeshorn“ aufs Wasser schaut, ist nur eine Kopie des Originaldenkmals, das seit 1945 im Garten des Zeughauses in Kopenhagen steht. Beide, Original und Kopie, sind Zeugen einer weit zurückliegenden Geschichte, mit der wir uns auch heute noch herumschlagen. Denn die Kriege zwischen Deutschland und Dänemark um die Schleswig-Holstein-Frage in den Jahren 1948/50 und 1864 waren Schritte zur sogenannten kleindeutschen Lösung, als der Einigung Deutschlands unter preußischer Führung und damit der Weg zu überheblichen Weltmachtsphantasien.

1858/59 hatte der dänische Bildhauer Hermann Villem Bissen, 1798 in Schleswig geboren, von einem dänischen Komitee den Auftrag für ein Monument erhalten, das auf dem Alten Friedhof von Flensburg stehen sollte. Es sollte an den für Dänemark siegreichen Krieg 1848/50 erinnern, als deutschgesinnte Schleswig-Holsteiner den Aufstand probten, um sich von der dänischen Krone loszusagen. Die komplizierte staatsrechtliche Frage hat damals schon kaum jemand richtig verstanden, geschweige denn heute. Der damalige britische Außenminister Palmerston behauptete, daß nur drei Personen die schleswigsche Frage verstünden: ein deutscher Professor, der darüber geisteskrank geworden war, Viktorias Prinzgemahl Albert, der inzwischen gestorben war, und er selbst, der es aber vergessen hat. Deshalb in Kürze nur folgendes: Die beiden Herzogtümer wurden damals zwar von der dänischen Krone regiert, Holstein aber war gleichzeitig Mitglied des deutschen Bundes. Der Vertrag zu Ripen von 1460 regelt, daß Schleswig und Holstein niemals geteilt werden dürften. Deshalb war der Versuch der neuen dänischen Regierung, das Herzogtum Schleswig in den neuen dänischen Einheitsstaat einzuverleiben, gegen Vertrag und Verfassung. Die deutschen Schleswig- Holsteiner reagierten ihrerseits mit der Forderung, sich einem deutschen Nationalstaat anzuschließen. Die zweijährige Rebellion fand ihr Ende am 25. Juli 1850 in der Schlacht bei Idstedt (dänisch Isted), etwa zehn Kilometer nördlich von Schleswig. Die Schleswig- Holsteiner unterlagen, 2.828 ihrer Soldaten und 3.797 Dänen ließen ihr Leben. Der in Dänemark genannte „Isted-Löwe“, in seinen Proportionen etwas mißraten, sollte ein Zeichen dieses Sieges und der Trauer über die Toten sein, auf dem Flensburger Friedhof bewachte er Freund und Feind von damals. Etwa 1.000 Dänen und 1.000 Deutsche, auch aus dem folgenden Krieg 1864, sind dort begraben. Enthüllt wurde der Löwe am 25. Juli 1862, dem 12. Jahrestag der Schlacht bei Idstedt, mit einem großen dänischen Volksfest, an dem mehr als 3.000 Menschen teilnahmen. Unter ihnen war auch der Schriftsteller Hans Christian Andersen. Die Inschrift am Denkmal ist schlicht: „Isted den 25. Juli 1850 Det Danske Folk rejste dette Minde“ (Idstedt 25. Juli 1850 – Das dänische Volk errichtete dieses Denkmal).

Das Tier geht auf Reise

Der Löwe konnte die Toten allerdings nur die kürzeste Zeit seiner Existenz bewachen. Als es 1864 erneut zwischen Dänemark und dem deutschen Bund über die Schleswig-Holstein-Frage zum Krieg kam, war die Flensburger Zeit des mißratenen Katzentiers – wenigstens vorläufig – beendet. Nachdem am 7. Februar 1864 preußische Truppen in Flensburg einmarschiert waren, tauchten in der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1864 einige dunkle Gestalten – angeblich Maschinenbauer und Studenten aus Altona – auf, die dem verhaßten Denkmal des dänischen Sieges mit Hebeln und Flaschenzügen zu Leibe rückten. Geplant war die Entführung des Löwen nach Altona. Zu diesem Umzug kam es nicht, die Polizei rückte an und verhaftete vier der Akteure. Allerdings hatten die verhinderten Denkmalsentführer dem armen Tier den Schwanz abgerissen und das Ungetüm auch schon ein Stück vom Sockel bewegt. Zwei Tage später gab Bismarck persönlich die Order, das Denkmal zu sichern („Es ist ein durchaus unwürdiger Gedanke, die Denkmale früherer feindlicher Siege, besonders wenn dieselben irgendwie einen künstlerischen Charakter tragen, zu vernichten oder auch nur zu entfernen...“). Daraufhin wurde der Löwe in drei Teile zersägt und im Flensburger Ständehaus erst einmal zwischengelagert. Die Spuren der Zerteilung sind heute noch sowohl am Original als auch an der Wannseer Kopie gut erkennbar. Erst 1867, nach dem Sieg Preußens gegen Österreich 1866, der auch gleichzeitig die gemeinsame preußisch-österreichische Verwaltung von Schleswig-Holstein seit 1864 beendete, erinnerte sich das preußische Kriegsministerium an das Raubtier. Über Schwerin gelangte es nach Berlin, wo das Denkmal Anfang Februar 1868 als Kriegsbeute zuerst im Hof des Zeughauses Unter den Linden aufgestellt wurde und dann im Frühjahr 1878 in die Kadettenanstalt Lichterfelde kam. Seine neue Aufgabe dort war

Fortsetzung auf Seite 27

Fortsetzung von Seite 26

es nun, die Erinnerung an die im ersten Gefecht des Schleswig-Holsteinischen Krieges am 9. April 1848 bei Bau gefallenen Studenten und Freiwilligen wachzuhalten. In Lichterfelde hat der Originallöwe die bisher längste Zeit verbracht, nämlich bis 1945. Die zahlreichen Bitten seit 1874, den Löwen wieder nach Flensburg zurückzubringen oder nach Dänemark zu transportieren, blieben ohne Ergebnis.

Der Löwe ist so schön, daß man zwei davon haben kann

In der Kadettenanstalt muß Herr Kommerzienrat Wilhelm Conrad den Löwen entdeckt haben. Conrad war Aufsichtsratsvorsitzender der Berlin-Potsdam-Magdeburger Eisenbahngesellschaft, die gerade die Strecke Berlin-Wannsee-Potsdam baute (damals die „Wahnsinnsbahn auf Conrädern“ genannt). Gleichzeitig ließ er eine Villenkolonie errichten, die „Alsen“ heißen sollte, benannt nach der dänischen Insel, bei der im deutsch-dänischen Krieg 1864 die Entscheidungsschlacht geschlagen wurde. Zur Kolonie und zum dort geplanten Park mit dem Namen „Schweiz“ paßte die Kriegsbeute aus Flensburg gut. Und so wurde ein Abguß des Löwendenkmals gefertigt und im September 1874 auf dem Hügel der „Schweiz“ aufgestellt. Als Beigabe wurde die Alsenschlacht auch in den Straßennamen der Kolonie verewigt. Eine Straße trägt den Namen von Louis Napoleon Colomier, General der Artillerie, der am Sturm auf die Düppeler Schanzen beteiligt war. Colomier war ein Schwager von Wilhelm Conrad.

Jetzt waren zwei Flensburger beziehungsweise Isted-Löwen in Berlin. Die Kopie gibt es bis heute. Sie hat allerdings im Oktober 1938 ihren Platz gewechselt und steht jetzt direkt am Wasser am Ende der Straße „Am Heckeshorn“. Uneingeweihte werden deshalb ihre Schwierigkeiten haben, besagtes Tier am Ende der „Straße zum Löwen“ zu finden, der Hügel ist leer. Nach Versetzung des Denkmals war die nun falsche Straßenbezeichnung nicht geändert worden.

Auch der Originallöwe ist derweil auf Wanderschaft gegangen. 1945 wurde er ein zweites Mal Kriegsbeute. Die amerikanischen Soldaten besetzten im Juli 1945 die Kaserne in Lichterfelde und entschieden, den Löwen dem dänischen König „zurück“-zugeben. H.V. Ringstedt, Korrespondent der dänischen Zeitung Politiken hatte das Denkmal während einer Parade entdeckt und um Rückgabe nach Dänemark gebeten.

Ein Provisorium wird zur Dauereinrichtung

Im Oktober 1945 trat der Löwe die abenteuerliche Reise nach Dänemark an, fuhr an Idstedt und Flensburg vorbei und wurde in Kopenhagen am 20. Oktober 1945 von den Amerikanern dem dänischen König als persönliches Geschenk feierlich übergeben. Seitdem steht der Löwe wieder einmal in einem Zeughaus, nämlich im Garten des Kopenhagener Zeughaus-Museums. Und dort blickt er genauso freundlich wie die Kopie am Wannsee.

Er ist seit seiner Ankunft in Kopenhagen ständig regelmäßig einmal im Jahr – am 25. Juli, dem Isted-Tag – Gesprächsstoff in ganz Dänemark. Eigentlich steht der Löwe nur „vorübergehend“ in Kopenhagen. Er soll an seinen Ursprungsort, den Flensburger Alten Friedhof, zurückkehren. Mehrere Meter Akten über den Löwen haben sich in dänischen Archiven schon angesammelt.

Die Rückkehr scheint allerdings problematisch, denn das dänische Königshaus stellt eine Bedingung. Die Heimreise des Löwen nach Flensburg soll einhellig gewünscht werden, davon ist das Flensburger Stadtparlament allerdings noch weit entfernt.

Eine Flensburger Provinzposse

Anfang September 1992 sprach sich die 15köpfige CDU-Fraktion im Stadtparlament „mit Mehrheit“, wie sie nach außen betonte, gegen die Rückkehr des Löwen aus. Als Siegerdenkmal würde der Löwe die Totenruhe stören, eine Rückkehr nach mehr als 125 Jahren wäre mehr als widersinnig. Dabei hatte es sich in den letzten Jahren so gut angelassen. 1985 hatte sich eine Vereinigung Flensburger Bürger „Holt den Löwen zurück“ gebildet. Sie wollte mit der Rückkehr des Löwen einen letzten Schlußstrich unter die deutsch-dänischen Probleme der letzten 150 Jahre – und ein Zeichen der Völkerverständigung – setzen. Die Organisation hätte sogar die Kosten für den Rücktransport übernommen, der Vorsitzende des schleswigschen Grenzfriedensbundes hielt die Zeit reif für eine Rückkehr, und auch Sprecher der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig befürworteten die Rückkehr des Löwen. Am 25. Juli 1992, dem Idstedt-Tag, sprach das erste Mal ein Vertreter der deutschen Seite auf der Gedenkveranstaltung am Fuß des Löwen in Kopenhagen. Chefredakteur Siegfried Matlok von der Zeitung Nordschleswiger, dem Organ der deutschen Minderheit in Dänemark, möchte den Kopenhagener Löwen wieder in Flensburg sehen.

Ein Vorschlag zur Güte aus dem fernen Berlin

Da der einhellige Wunsch aus dem Flensburger Stadtparlament nach Rückkehr des Löwen ausblieb, gab es in den letzten Jahren zahlreiche dänische Städte, die dem Denkmal ersatzweise einen endgültigen Standort einräumen wollten. Daraus wird aber wohl nichts. Das dänische Königshaus wartet weiter geduldig auf die einstimmige Bitte des Flensburger Stadtparlaments.

Die deutsch-dänische Provinzposse sollte ein baldiges Ende haben. Deshalb ein – bisher nicht autorisierter – Vorschlag zur Güte aus dem fernen Berlin: Wie wäre es, wenn die Kopie von Bissens mißratenem Löwen in Flensburg aufgestellt wird? Dann könnten doch alle Seiten zufrieden sein. Das dänische Siegesdenkmal bleibt in Dänemark, die deutsche Kopie, die an Preußens Gloria erinnern sollte, bleibt in Deutschland. Bissens Löwe ist damit wenigstens als Kopie an seinen ursprünglichen Standort, den Flensburger Alten Friedhof, zurückgekehrt. Die Berliner wären außerdem die Kopie eines nicht besonders gelungenen Denkmals los, die die Stadt noch viel Geld für die Renovierung kosten wird. Jürgen Karwelat