Der Drogi und der Yogi Von Michaela Schießl

Andi ist Vegetarier. Paul ist Säufer. Andi ist Yogi. Paul Truckfahrer. Andi ist von Indien halb erleuchtet. Paul vom Cognac meist benebelt. Andi liebt Askese. Paul liebt die Frauen. Die ungleichen Brüder lieben sich nicht. Was eigentlich kein Problem wäre, wenn Andi und Paul aus Paderborn nicht den gleichen Traum gehabt hätten: den von der großen Flatter. Als sie unerwartet erbten, taten sie sich zusammen und kauften ein Grundstück an der Westküste von La Palma, der grünsten der Kanarischen Inseln. Massentouristisch, so erkannte das Aussteigerauge, ist sie wegen fehlender Sandstrände kaum zu erschließen. Hoch oben am Berg, mit Blick auf den Atlantik, 30 Gehminuten vom Dorf entfernt und weitab vom deutschen Spießer sollte nunmehr die Freiheit lauern. Viel später erst erfuhren die beiden, daß ihr Befreiungsberg „der Schwabenhügel“ heißt. Denn irgendwann luchste ein Schwabe einem palmesischen Bergbauern seine Hütte ab. Er legte einen Vorgarten an, pflanzte Gemüse, baute an und um und erzählte dies anderen Schwaben. Die kamen, kauften, legten Vorgärten an, pflanzten Gemüse, bauten an und um usw. Manche zogen in die Dörfer, kauften Appartements, Autos und vermieteten sie deutschen Touristen.

Alle helfen tüchtig mit: für jede Vermittlung gibt's Provision. Der Palmese schaut in die Röhre. „Deutsche raus“, steht an den Wänden und „Verkauft euer Dorf nicht“. Doch die altlinken Hausbesitzer haben keine Probleme mit der feindlichen Haltung der Einheimischen: „Ach was, Kolonialismus, da darf man sich nichts vormachen: das hier sind total ungebildete Bauern“, sagt Andi. „Klaro sind die sauer, daß plötzlich alles teurer wird. Doch da ist auch viel Neid dabei, wenn die sehen, was wir hier alles aufbauen. So ist es eben: Der Palmese versteht nichts vom Häusle bauen. Dazu gehört nämlich schaffe, und das, sagt der Andi, ist hier nicht beliebt. Er hingegen steht schon um acht Uhr morgens mit sich und der Welt im reinen auf dem Dach eines der zwei neuen Appartementhäuser, die er gerade – ökologisch korrekt – erbaut. Disziplin ist alles, besonders als Eremit, sagt Andi. Hurtig springt der Yogi zum Materialholen in den verrotteten, rauchenden Bus mit den kaputten Bremsen. Das Öko- Auto vor der Haustür bleibt stehen. Das hält man sich gemeinsam, ein paar Freunde und er, und da hat man alle Kosten reingerechnet, die ein Auto so macht, einschließlich Luftverschmutzung, Entsorgung, Straßenbau etc. Der Kilometer kostet 70 Pfennig. Dann lieber den Bus. Paul hingegen packt die Koffer. Die beiden Brüder verstehen sich nicht. Das Paradies im Schichtwechsel: ein Jahr Andi, ein Jahr Paul. Richtig schwer fällt Paul der Abschied nicht. „Glaubt ihr, ich bin glücklich, allein da oben auf dem Berg zu hocken?“ Alles hat er probiert: WG, Demos, hart an der RAF entlang, Vertreter, Computerfred. Nichts half gegen die Frustration. So rief der Berg. Zu dumm nur, das er bevölkert ist von denen, vor denen man davonlaufen wollte. Susanne, die Waschfrau mit den horrenden Provisionen. Isolde, die Vollkornbäckerin, oder Petra, die das Heilen durch Steinauflegen lernt. Jeder ist ganz individuell, und geht mittags in den Hauptort, gucken, was die anderen Individualisten machen.