Nur wegen Singens

■ Die kurdische Grup Yorum: Mit Weltmusik in den Widerstand

„Akliyiz kazanacagiz“ steht auf dem roten Transparent im Bühnenhintergrund – „Wir sind im Recht, und wir werden siegen“. Die Menge im Saal, es werden 500 Menschen sein, sitzt dicht gedrängt, eine junge Frau trägt ein Gedicht vor. „Wenn wir die ersten sein müssen, die auf dem Weg zur Sonne sterben, werden wir das kämpferisch und freudig tun“, heißt es darin. Krachender Beifall, alles erhebt sich, 500 Fäuste ballen sich über den Köpfen, Parolen füllen den Raum.

Wir befinden uns keineswegs in einer Versammlung verbohrter kommunistischer Kader, sondern auf einem türkischen Kulturnachmittag im Hamburger Haus des Sports.

Familienweise sind die türkischen und kurdischen Arbeitsemigranten aus Altona und St.Pauli, aus Wilhelmsburg und dem Alten Land gekommen.

Die Kleinkinder auf den Armen, begrüßen sie sich im Foyer vor den Tischen mit den bunten Revolutionsblättern. Auch türkische Studenten haben sich unter das Proletariat gemischt, ebenso die modisch aufgemotzten Jugendlichen der zweiten Generation, sowie wenige Hamburger Junglinke, denen der Internationalismus aufgibt, am Ort zu sein.

Der Sonntagnachmittag gehört einer Polit-Folkloregruppe aus Istanbul: Grup Yorum – zu deutsch: Gruppe Kommentar. Der Politruk der Veranstalter, den alle nur mit Adil, seinem nom de guerre, anreden, versichert, daß die zwei Frauen und drei Männer in seiner Heimat überaus populär seien. Ihre letzte Kassette sei 200.000mal verkauft worden, beileibe nicht nur an organisierte Linke. Das Getümmel in und vor dem Saal gibt ihm recht.

Die Mitglieder von Grup Yorum stehen fast unbeweglich hinter ihren Mikrophonen, wie Ikonen des revolutionären Kampfes. Ihre Lieder sind Hymnen, ihre Stimmen von gewaltiger Durchschlagskraft. Kunstvoll bauen sie über einem unsteten Metrum mehrstimmige pentatonische Melodien auf, überraschende Modulationen brechen die Strophen, getragene Tempi werden mit arabesken Koloraturen versetzt. „Moderne Volksmusik“ nennt die Grup Yorum ihren Stil und verkündet: „Wir fühlen uns verantwortlich, die Musik der armen Völker in der Türkei– der Türken, Kurden, Lasen, Tscherkessen und Armenier – zu machen, sie weiterzuentwickeln und sie auf Weltmaßstab zu bringen.“

Den Weltmaßstab setzt wohl die westliche Popularmusik. Dafür steht auch die Instrumentation: Keyboards, Gitarre, Elektrobaß – nur die Saz, die Langhalslaute, und die zweifellige Trommel, die mit Schlegel und Rute geschlagen wird, stehen für die Tradition.

Die Texte handeln nicht nur vom heroischen Kampf der Völker gegen „das Regime“, von den politischen Gefangenen und ihrem rätselhaften Verschwinden, sondern auch von den Slumbewohnern Istanbuls, von den Festen der Kurden. Aber die Botschaft ist immer: „Entweder du wirst deinen Kopf beugen oder du wirst deinen Platz auf der Seite des Widerstandes einnehmen“. Solche Parolen werden vom Publikum aufgenommen und mitgesungen.

„Wir kommen nicht hierher, um die Leute zu unterhalten. Wir haben schließlich ein politisches Bewußtsein. Wir sagen: Wir sind Revolutionäre, wir sind Sozialisten. Genau das möchten wir auch als Künstlerinnen und Künstler durch unsere Musik wiedergeben“, bekennt Nuri Eryüksel, eines der Mitglieder von Grup Yorum.

Das war nicht immer so. Als sich die Gruppe 1985 zusammenfand, hatten die Mitglieder, allesamt Studenten an der Marmara-Universität, lediglich die Demokratisierung des türkischen Staates im Kopf.

Die kommenden Erfahrungen radikalisierten die jungen Leute: Wegen „Singens von kurdischen Liedern“ wurden sie mehrere Male vor Gericht gestellt (und ein ums andere Mal freigesprochen), ihre Instrumente wurden beschlagnahmt, ständig drohten Haftbefehle, einige Mitglieder saßen monatelang in Untersuchungshaft, staatliche Stellen verboten ihre Auftritte, weil sie — so steht es in der Anklageschrift — „die meist jugendlichen Konzertbesucher“ dazu gebracht hätten, „Parolen mit linksextremistischem und separatistischem Inhalt zu rufen“. Die Verfolgung machte die Gruppe nur populär.

Zur selben Zeit verschwanden Freunde und Bekannte in den Knästen, Hunderte von Menschen wurden von der Polizei und von Todesschwadronen ermordet, der Krieg gegen die Kurden eskalierte.

„In der Türkei herrscht Faschismus“, ist die Grundthese der radikalsozialistischen und maoistischen türkischen Linken. „Wenn wir sagen, in der Türkei herrscht Faschismus, dann meinen wir die Unterdrückung, die Massaker, daß Leute spurlos verschwinden, daß das kurdische Volk abgeschlachtet wird“, sagt Nuri Eryüksel. Und: „Im Unterschied zum deutschen Faschismus unter Hitler kommt bei uns der Faschismus von oben.“ Eryüksel irritiert es nicht, daß revolutionäres Pathos und tradierte Embleme des Kommunismus – rote Fahnen, Hammer und Sichel – derzeit weltweit nicht hoch im Kurs stehen. Zwar räumt er ein, daß „unter den Linken in Westeuropa die Moral nicht sehr gut ist“. Aber sicherlich nur vorübergehend.

In Deutschland haben die fünf Musikerinnen und Musiker eine Mission zu erfüllen: „Dieses Mal sind wir speziell hier, um den Kampfgeist, den es im Widerstand gegen das Regime, im heißen Krieg in der Türkei gibt, herzutragen“, so Eryüksel. Bei einem großen Teil seiner Landsleute greift diese Rhetorik offenbar nach wie vor, auch bei vielen, die in Deutschland leben. Wo die Grup Yorum auftritt, gibt es volle Häuser. Das kann nicht nur daran liegen, daß sie Ethno-Musik auf hohem Niveau abliefert. Michael Berger

Grup Yorum spielt noch am 27.November an der Kölner Universität, am 29. November in der TSV-Halle in Leonberg-Eitingen und am 6. Dezember in Reinach (Schweiz) im Hazal Dügün Salonu.