■ Wollen die Herren über den Tod jetzt auch Herren über das Leben werden? Ist die Traumfrau der Zukunft eine Leiche?
: Die Erlangen-Karlsruhe-Connection

Nach 42 Tagen war der Spuk zu Ende: Der vier Monate alte Fötus in dem mit Blasebälgen am Sterben gehinderten Körper von Marion Ploch verließ die unwirtliche Stätte. Die Herren über den Tod: noch sind sie nicht ganz Herren auch über das Leben. Die Chancen waren gering, die Kosten enorm. Mindestens eine halbe Million DM hätte der Erlanger Menschenversuch gekostet (denn schon der Tagespreis für ein Bett auf der Intensivstation beträgt 2.500 DM) – wäre er gelungen.

In einer Welt, in der täglich Tausende von Kindern Hungers sterben, Zehntausende von kleinen Mädchen von den Freiern der weißen Herrenrasse mißbraucht und mit zerfetzten Seelen und Körpern zurückgelassen werden und Millionen von Kindern materiell und seelisch Mangel leiden – in dieser Welt erlaubten sich die Herren von Erlangen dieses kostspielige Experiment mit riesigem Aufwand und ungewissem Ausgang. Warum?

Natürlich ging es nicht um den einen Fötus im Körper der sterbenden Frau. Es ging schon gar nicht um das fragwürdige Glück der beklemmend hilflos, uninformiert und manipuliert wirkenden „zukünftigen Großeltern“, die von den Experten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu überredet wurden, den Menschenversuch mit ihrer Tochter zuzulassen. Es geht um etwas ganz anderes.

– Es geht um den Allmachtswahn von Männern, die, enthemmt und menschenverachtend, keine Grenzen mehr kennen.

– Es geht um die Macht der Männer über die Körper der Frauen sowie die Ablösung der weiblichen Gebärfähigkeit durch das Kind aus der männlichen Retorte.

– Und es geht um die aktuelle Reform des §218!

Am 8./9. Dezember beraten in Karlsruhe acht Verfassungsrichter (darunter eine Richterin) über die vom Parlament demokratisch verabschiedete 218-Reform, eine durch die Beratungspflicht eingeschränkte Fristenlösung. Im Januar soll das Millionen Frauenleben beeinflussende Urteil der acht verkündet werden. Und was an der Schwelle zum 21. Jahrhundert mitten in Europa vor wenigen Wochen noch kaum denkbar schien, könnte jetzt eintreten: selbst die kompromißlerische Reform steht auf der Kippe! Eine einzige Stimme könnte die nötige Mehrheit zu Fall bringen. Und das ist nicht irgendeine Stimme – es ist die des Verfassungsrichters Böckenförde, SPD-Mitglied (!) – und engagierter „Lebensschützer“.

Bis vor kurzem war Böckenförde noch Mitglied der „Juristen- Vereinigung Lebensrecht“ (JVL), aus der er jüngst aus taktischen Gründen austrat. Dieser Verein, in dem 800 Juristen organisiert sind, zählt zu den militanten Lebensschützern, für die Abtreibung gleich Mord ist. Böckenförde nutzte seine Stellung als stellvertretender Leiter des Karlsruher Senats, um zweien seiner Vereinsbrüder die Erstellung der offiziellen „Gutachten“ für das Verfassungsgericht zur 218-Reform zuzuspielen, dreimal dürfen wir raten, was in diesem „Gutachten“ drinsteht ...

Und wer ist noch Mitglied in dem exklusiven Herrenzirkel JVL? Professor Hans-Bernhard Wuermeling – der entscheidende Mann von Erlangen! Es war der Rat dieses von den Ärzten hinzugezogenen Rechtsmediziners (und Vaters von sieben Kindern), der den Ausschlag gab für den Erlanger Menschenversuch.

Mit seinem Rat lieferte Wuermeling nicht nur den Ärzten grünes Licht für ihr perverses Experiment – er lieferte den Abtreibungsgegnern auch Argumente für die letzte Schlacht um den §218. Von dem zu Beginn daumengroßen Fötus redete Wuermeling wider besseres Wissen und penetrant nur als „Kind“. Das eigenständige „Lebensrecht“ des Fötus beginnt für ihn mit dem Moment der Befruchtung, und der Körper der Mutter ist für ihn nichts als ein Gefäß, das zur Verfügung zu stehen hat. Schließlich hätten „wir alle, um in dieses Leben zu kommen, recht rücksichtslos die Leiber unserer Mütter gebraucht, und die Mütter haben das ja zumindest akzeptiert“ (Wuermeling).

Der Erlanger Fötus – für Bild „das Baby“, für den Stern „das ungeborene Kind“ – war wie maßgeschneidert für die Gegner der 218-Reform. Am Körper der endlos gestorbenen Marion Ploch wurde uns die Allmacht der Ärzte und die Ohnmacht der Frauen demonstriert. Und genau das ist der Grund, warum selbst das sehr wahrscheinliche medizinische Scheitern des Experiments in Kauf genommen wurde: Politisch zahlt sich Erlangen auf jeden Fall aus!

Der Körper der Marion Ploch wurde also nicht nur aus Experimentierlust geschändet, sondern auch, um das Klima in Deutschland zugunsten einer Ablehnung der 218-Reform zu beeinflussen.

Sollte die 218-Reform tatsächlich von der Mehrheit der sieben Männer und einen Frau noch einmal gekippt werden, würde sich damit das makabre Schauspiel von 1975 wiederholen: Auch damals verabschiedete das Parlament höchst demokratisch die Fristenlösung (zu der Zeit noch ohne Pflichtberatung!), auch damals kippten die Verfassungsrichter die Reform, unter dem Vorsitz von Prof. Ernst Benda. Übrigens: Auch eben dieser Benda bekennt sich inzwischen öffentlich zu den „Lebensschützern“. Am 23. Juni dieses Jahres unterzeichnete er einen in der FAZ veröffentlichten Aufruf der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“, in dem 60 deutsche Verfassungsrechtler gegen jegliche Art von Fristenregelung appellieren – darunter zwei in der Wolle gefärbte Rechte: Prof. Willi Geiger, zuletzt Verfassungsrichter und vor 1945 als Staatsanwalt am Sondergerichtshof Bamberg verantwortlich für mehrere Todesurteile, sowie Prof. Theodor Maunz, der sogar als bayrischer Kultusminister wegen seiner braunen Vergangenheit („allzu entschlossene nationalsozialistische Schriften“, FAZ) zurücktreten mußte.

Im Gegensatz zu den Millionen betroffener Frauen scheinen sich die Herren Lebensschützer die Bälle gezielt zuzuspielen. Von Wuermeling bis Böckenförde reicht die Erlangen-Karlsruhe- Connection. Ziel dieser Männer- Mafia: die weitere Entrechtung der Frauen und die Aufrechterhaltung des Herrenrechts!

Aber der Fall Marion Ploch ist noch zu viel mehr gut. Die Universitätsklinik Erlangen ist schließlich die deutsche Hochburg der pränatalen Manipulation und der Kinderproduktion in Männerhand. Das erste deutsche Retortenbaby kam in Erlangen zur Welt, und seither haben die Herren über Leben und Tod auch dort nicht geschlafen.

Dennoch ist es erleichternd, daß der zynische Menschenversuch mit dem Körper von Marion Ploch gescheitert ist. Doch Gebärmütter aus Frauenfleisch sind billiger und praktischer als Gebärmütter aus Stahl und Glas. Nicht nur darum werden die Herren über den Tod weiterhin versuchen, auch Herren über das Leben zu werden. Diese Patriarchen scheinen davon zu träumen, uns Frauen endgültig abzuschalten. Ihre Traumfrau der Zukunft – eine Leiche? Alice Schwarzer

Herausgeberin von Emma. Der Beitrag wird in der am 27. November erscheinenden Dezember-Ausgabe der Zeitschrift Teil der Titelgeschichte sein.