TV-Bilder sind zitierbar!

■ Von der KonsumentIn zur ProduzentIn mit dem Videokollektiv Papertiger TV

Den Medienkonsumenten zum Medienproduzenten zu machen, hat Bert Brecht schon in den frühen 30er Jahren gefordert. Doch die Produktionen von Film- und Videoamateuren kommen bis heute nur dann ins Fernsehen, wenn sie zufällig gefilmt haben, wie ein Flugzeug abstürzt oder ein schwarzer Autofahrer von weißen Polizisten krankenhausreif geprügelt wird. Das New Yorker Videokollektiv Papertiger TV betreibt deswegen eine Meuterei auf dem TV: Sie produzieren alternative politische Fernsehprogramme aus Amateurvideomaterial.

1981 begann die No-Budget-Organisation mit der Produktion von medienkritischen Sendungen für den Offenen Kanal von Manhattan. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre haben die Videoaktivisten ein alternatives Korrespondentennetz in ganz Nordamerika aufgebaut, mit dem Papertiger „Gegenfernsehen“ macht, bisher über 200 Sendungen. Zu Themen, die in anderen Medien unterrepräsentiert sind, stellen sie ausführliche Dokumentationen zusammen. Ihr Opus magnum: zehn Beiträge über den Golfkrieg, die die wirtschaftlichen Motive für die „Operation Desert Storm“ und den Widerstand gegen den Krieg darstellten. Während der „Art Cologne“ hat sie die Kölner Medienschule eingeladen, um ein Video über den Rassismus in Deutschland zu machen. Für die taz sprach Tilman Baumgärtel mit Linda Iannacone, Simin Parkhondeh und Mary Feaster von Papertiger.

taz: Wie habt Ihr Eure Methode einer Medienkritik entwickelt?

Papertiger: Unsere Gruppe wurde 1981 von DeeDee Halleck gegründet. Sie kannte Herbert Schiller, der damals Medienwissenschaften am Hunter College in New York lehrte und der jeder Vorlesung eine zehnminütige Kritik der New York Times vorausschickte, ihrer Sprache, der redaktionellen Aufmachung, der Themen, die in der Zeitung behandelt oder verschwiegen wurden. DeeDee dachte, daß es gerade für einen Offenen Kanal ziemlich interessant wäre, sich mit dieser Art von Meinungsmache zu beschäftigen. Wir haben solche Analysen dann bald von den Printmedien auf das Fernsehen ausgeweitet.

Dazu verwendet Ihr Material, das Ihr aus Programmen der großen kommerziellen Sender zusammenschneidet. Ihr zeigt zum Beispiel den Vorspann einer Nachrichtensendung, um seine unterschwellige Ideologie zu analysieren. In einer Sendung über den Moderator Ted Koppel klebt Ihr ihm mit Blue-box-Effekt das Gesicht mit Statistiken zu. Gibt es da keine rechtlichen Probleme?

Wir blenden immer ein Pappschild unter diesen Bildern ein, auf dem „Zitat“ steht. Aber natürlich ist es eine rechtliche Grauzone, in der wir arbeiten. Bisher hat uns noch niemand verklagt, weil die Fernsehgesellschaften wissen, daß bei uns nichts zu holen ist. Dabei wäre uns ein Musterprozeß eigentlich ganz recht, damit die Frage endlich einmal geklärt wird, ob man aus dem Fernsehen auch so zitieren kann wie aus der Literatur.

Wie viele Leute gehören heute zu Papertiger?

Zur Zeit sind es etwa 20 Freiwillige. Wir haben zwei festangestellte Leute, die die Büroarbeit machen, die Videos verkaufen und an Unis und Schulen ausleihen, alle anderen arbeiten unentgeltlich. Das sind Studenten, Lehrer, Kameraleute, Künstler oder Leute, die sich ihr Geld mit irgendwelchen Jobs verdienen. Wir haben keine eigenen Mittel, wir machen unsere Videos mit Geld, das wir von Stiftungen und Stipendien bekommen und haben keine Einnahmen außer dem, was wir durch den Vertrieb verdienen. Wir haben ein kleines Büro und einen Schneideraum, das ist alles.

Wer sieht Eure Programme?

Am Anfang wurden unsere Programme nur auf dem New Yorker Offenen Kanal gezeigt. Seit 1985 gibt es „Deep Dish“, unseren Satellitensender. Wir hatten ein Stipendium von der Video Foundation aus Boston an Land gezogen und damit Zeit auf einem Fernsehsatelliten gekauft, um unsere Show und die Arbeiten von anderen Gruppen im ganzen Land zu verbreiten. Das kostet 600 Dollar pro Stunde und ist billiger, als die Tapes mit der Post zu schicken. Wir haben an alle Videogruppen geschrieben, die wir kannten und sie gebeten, Material über bestimmte Themen zu schicken: Feminismus, die Wohnungssituation, Landwirtschaft, Kinder, Rassismus, Mittelamerika, also Themen, die in anderen Medien kaum behandelt werden. Daraus haben wir zehn Sendungen zusammengestellt. Diese und spätere Projekte zum Golfkrieg oder zu den Aufständen in Los Angeles werden dann über „Deep Dish“ gesendet, und die etwa 300 Offenen Kanäle in Nordamerika können sie aufzeichnen und über Kabel zeigen.

Ihr macht auch Seminare an Schulen und Unis?

Ja, die Idee, daß man auch fernsehen lernen muß, ist noch recht neu. Viele Leute wissen durchaus, daß sie von den Medien manipuliert werden, und wir erklären ihnen, wie das konkret funktioniert. Außerdem wollen wir zeigen, daß eigentlich jeder Fernsehen machen kann. Video und all die anderen neuen Technologien sind nicht nur zur Berieselung da, sondern Kommunikationstechniken. Wir wollen das Informationsmonopol unterlaufen, daß in Amerika einige wenige Fersehsender haben, die auch noch großen Industriekonzernen gehören. In Deutschland gibt es diese Info-Läden, die so ähnlich arbeiten, so etwas existiert in den USA nicht.

Habt Ihr deutsches Fernsehen gesehen?

Ja, und es hat uns sehr gewundert, wie wenig gerade deutsche Privatsender sich von amerikanischen Programmen unterscheiden, das ist ziemlich erschreckend. Ein Unterschied ist, daß man nur wenige Farbige im deutschen Fernsehen sieht.

Ist der Einfluß von Fernsehen in den USA größer als hier?

Die Grenzen von Alltagsleben und Fernsehen verschwimmen dort immer mehr. Als Dan Quayle während des Wahlkampfes in einem Interview kritisiert hat, daß die Serienheldin Murphy Brown ein Kind bekommt, ohne verheiratet zu sein, hat die ganze Nation darüber geredet und nicht mehr über das Milliarden-Haushaltsdefizit. Zum Schluß hat Quayle diesem fiktiven Baby sogar ein Stofftier geschickt! Interview: Tilman Baumgärtel

Papertiger sind noch bis zum 23.November in der Galerie Friesenwall 120 in Köln; danach vom 28.November bis zum 10.Dezember bei Art Acker in Berlin-Mitte, Ackerstraße 18.