Aus polnischer Sicht
: Kaltgestellt

■ Wie unpraktisch, Osteuropa zu studieren

Zwischen der Steinzeit der Nationalitätenkriege, den faschistischen Ausschreitungen einerseits und der Echtzeit der vermittelten Bilder andererseits liegen Welten; wie zwischen dem bosnischen Sterben im Fernsehen und dem realen bettelnden Mann aus Sarajevo, der auf dem Berliner Kurfürstendamm in seiner Lammütze so irreal aussieht, daß ihn fast niemand wahrnimmt, Welten liegen. Man schenkt dem Vermittelten viel mehr Glauben als dem Realen.

Das Reale ist ohnehin unglaublich geworden: Die einstige Wirtschaftsmacht Deutschland versinkt in der Rezession, es geht längst nicht allen besser als vor der Wiedervereinigung. An allen Ecken und Kanten bröckelt die Fassade eines der solidesten Staaten der Welt. Und wieder sind es nicht die schmerzlichen Tatsachen in unseren Geldbeuteln, die Schwierigkeiten bei der Arbeits- und Wohnungssuche – seit ein paar Jahren spürbar und seit Monaten akut –, sondern erst die Bilder und Nachrichten über den sozialen und „nationalwirtschaftlichen“ Maßstab dieses Unterganges, die uns vom Ernst der Lage überzeugen. Nur noch die Immobilienmakler versuchen zu behaupten, daß der Markt stabil sei und die Nachfrage dem Angebot entspreche. (Man kann diejenigen, die Monopoly gespielt haben und jetzt auf ihren immobilen Vorräten sitzen, auch gut verstehen.)

Langsam fängt man an zu begreifen, daß das Sparen unumgänglich ist und daß alle davon betroffen sind. Dabei – wie so oft – sind alle gleichzeitig der Meinung, bei ihnen gehe es überhaupt nicht – oder höchstens nur ein bißchen. So zum Beispiel Zahnärzte, Bergarbeiter und Bauern. Sie alle befinden sich in einer so prekären Lage, daß sie keinen Pfennig abgeben können; die Studenten, Künstler und Sozialhilfeempfänger dagegen sind gut gepolstert und müssen dem Staat unter die Arme greifen.

Weniger Staat täte Deutschland gewiß nicht schlecht. Warum aber muß es immer weniger Rechtsstaat und weniger Wohlfahrtsstaat sein? Die Bildungspolitik ist ein Paradebeispiel, wie kühl der Staat rechnen kann: Der erst seit drei Semestern an der FU erfolgreich laufende Osteuropa-Studiengang wird wahrscheinlich trotz heftiger Proteste der Studenten kaltgestellt.

Wieso sollte man in Deutschland eine so unpraktische und unnütze Fachrichtung studieren? Erstens ist diese Weltregion aus wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Gründen völlig uninteressant, zweitens verschlingt diese Forschung Unmengen von Geld für ausgeklügelte Apparatur und Laboreinrichtungen, und drittens: wenn man schon dem Osten im kalten Krieg den Todesstoß gegeben hat, kann man getrost auch die Forschung und Lehre darüber einstellen. Piotr Olszowka