Die deutschen TürkInnen sind entsetzt und zornig

■ Einen besseren Schutz für alle ausländischen Mitbürger fordern türkische Gruppen nach den Morden in Mölln/ Scharfer Protest von türkischer Regierung

Berlin (taz) – Schockiert, aber nicht sprachlos reagierten gestern die in der Bundesrepublik lebenden TürkInnen. In der türkischsprachigen Sendung des Berliner Lokalfernsehens meldeten sich unzählige AnruferInnen. Trauer, aber auch Angst und Wut bestimmten sie, teils „massive Gegenmaßnahmen“ zu fordern.

Safter Cinar, einer der drei Sprecher des Bundes für Einwanderer aus der Türkei, erklärte, in vielen Anrufen sei „Deutschenfeindlichkeit zu spüren“ gewesen, die – als Reaktion auf die rassistische Gewalt in Deutschland – eine verhängnisvolle Kette von Gegenreaktionen in Gang setzen könne. Der Bund ist neben der Türkischen Gemeinde der zweite große Dachverband türkischer Organisationen in Berlin.

Der Anschlag in Mölln zeige erneut, so Cinar, daß die rechte Gewalt rassistische Gewalt sei. AusländerInnen würden allein wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft angegriffen, ihr jeweiliger Status in der Bundesrepublik – AsylbewerberInnen, schwarze Deutsche oder ArbeitsimmigrantInnen – spiele keine Rolle. Schuld an der andauernden Gewalt gegen AusländerInnen habe vor allem die endlose Asyldebatte.

Die türkischen Organisationen in Berlin planen weitere Aktionen in den nächsten Tagen. Sie überlegen, ihre Kinder einen Tag nicht zur Schule zu schicken. Gestern abend fand ein Trauer- und Schweigemarsch statt, der vom Breitscheidplatz zum Adenauerplatz führte, zu dem neben den Grünen/AL und Bündnis 90 auch die großen türkischen Verbände und der DGB aufgerufen hatten. „Bei Trauermärschen allein darf es allerdings nicht bleiben“, meinte nicht nur Safter Cinar, sondern auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Berlin, Mustafa Turgut Cakmakoglo.

Auch er machte vor allem die Asyldebatte für die rassistische Gewalt verantwortlich: „Die Rechten können sich bestärkt fühlen.“ Er habe viele Anrufe bekommen, die ihm gezeigt hätten, daß viele seiner Landsleute schon „ohne Hoffnung“ seien, daß sich ihre Situation wieder bessern könne. Angst gehe um, und zunehmend würde unter den Berliner TürkInnen darüber diskutiert, wie man sich selbst schützen könne. Diesem Trend wollen sowohl der Bund als auch die Türkische Gemeinde entschieden entgegentreten. Es müsse, so Cakmakoglo, beim „Gewaltmonopol des Staates“ bleiben. Der Rechtsstaat sei auf die Probe gestellt und müsse sich gegen die Gewalt von rechts entschieden zur Wehr setzen. PolitikerInnen, die für die Menschenwürde auf die Straße gingen, müßten auch in der Lage sein, den Schutz der AusländerInnen durchzusetzen.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde sah in dem Möllner Anschlag „eine neue Qualität der Gewalt“ gegen AusländerInnen. Die Tat sei äußerst systematisch und brutal durchgeführt worden. Die Täter hätten sich anschließend auch noch dazu bekannt. „Einen solchen Angriff haben wir nie erwartet“, sagte Cakmakoglo entsetzt.

Cinar hingegen betonte, es habe bereits im letzten Jahr zwei Brandanschläge gegen TürkInnen in Kreuzberg gegeben, die nie aufgeklärt worden seien, aller Wahrscheinlichkeit nach aber auch rassistische Hintergründe hätten. Der Bund der Einwanderer schickte ein Schreiben an den türkischen Parlamentspräsidenten Hüsammettin Cindoruk, in dem er Parlament und Regierung auffordert, „eine Kommission nach Deutschland zu entsenden, um die Lage vor Ort zu untersuchen“.

Daß die Morde von Mölln TürkInnen in der ganzen Republik zornig und traurig machen, bekam auch die Frankfurter Zentralredaktion für das auch in der Bundesrepublik erscheinende meistgelesene türkische Boulevardblatt Hürryet zu spüren. Hunderte von AnruferInnen legten dort den gestrigen Tag über die Leitungen lahm, um ihr Entsetzen, ihren Zorn, Trauer und Ohnmacht über die Bluttat gegen Landsleute loszuwerden.

Die türkische Botschaft in Bonn erklärte, diejenigen, die „diese unschuldigen türkischen Staatsbürger“, die seit Jahren in Deutschland gelebt und zum Wohlstand des Landes beigetragen hätten, nur wegen ihrer türkischen Herkunft ermordet hätten, hätten ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen: „Wir erwarten, daß die deutschen Behörden diese Mörder in kürzester Zeit fassen und hart bestrafen.“

In einer am Montag in Ankara verbreiteten Erklärung des türkischen Außenministeriums hieß es, die Türkei habe die deutschen Behörden aus Sorge vor den schlimmen Folgen der gewalttätigen Angriffe rassistischer Organisationen stets zu wirksamen Maßnahmen aufgefordert. Nach Mölln werde offenkundig, daß die bisherigen Schritte völlig unzureichend seien. Die Türkei empfinde „tiefe Trauer“ und erwarte, daß die Verbrecher gefaßt und bestraft und die Familien der Opfer finanziell und moralisch entschädigt würden. Bettina Markmeyer