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■ Pilgern zu Marlene Dietrich, der Namenlosen

„Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin“, hatte Marlene Dietrich einmal geschrieben. Vor allem ihr Berliner Humor habe ihr geholfen, „nicht in dem Gram der Welt zu ertrinken“. Daß sie diesen Humor aber auch bitter nötig brauchte, mußte sie im Nachkriegs-Berlin am eigenen geschmähten Leibe erfahren. Auch nach ihrem Tod am 6. Mai waren viele Berliner noch nicht bereit, ihr zu verzeihen, daß sie ihr Talent einst den alliierten Nazigegnern zur Verfügung stellte. Beschämende Halbherzigkeit überschattete das Begräbnis der Wahlpariserin in Berlin. Dennoch prangt ihr Name, der nach einem Wort von Jean Cocteau „beginnt wie eine Zärtlichkeit und endet wie ein Peitschenhieb“, seit Montag schon in Bronze am Haus Nr. 56 der Schöneberger Leberstraße.

Vor über 90 Jahren, vermutlich am 27. Dezember 1901, wurde Marlene als Maria Magdalena Dietrich hier geboren. „Aus Anstand“ habe sie nicht mit den Nazis kollaboriert, sagte der Schöneberger Bürgermeister Saager am Montag bei der Enthüllung der Gedenktafel, und anständig war es sicher auch, Marlene Dietrich mittels eines Gedenktafel-Sonderprogramms so rasch zu verewigen. Nur: Die Gedenkgemeinde selbst war winzig, die Absperrung des Straßenabschnitts leider unnötig. Die wenigen, die hinter dem Journalistenkordon im Novemberregen standen, fanden bequem auf dem Bürgersteig Platz.

Zu den offiziellen Gästen, auf die sich Fotoapparate und Mikrophone wie Gewehrläufe richteten, gehörte neben dem Enkel Jean-Paul Riva, der aus New York angereist war, auch Margot Jacob-Philipp aus Paris. Die jüdische Exil-Berlinerin verlas nach einem Gruß von Jacques Chirac ihre eigene, allerletzte Liebeserklärung und dankte der freiwillig Exilierten darin vor allem für ihre immer wieder bewiesene Solidarität mit jüdischen Emigranten. Die Berliner Kulturprominenz vertrat Otto Sander. Er trug einen Text des aus Krankheitsgründen verhinderten Schriftstellers und Marlene-Texters Max Kolpe vor. „Ein Mensch stirbt, ein Mythos nicht“, heißt es da unter anderem – ein schöner, ewigkeitsdurchzuckter Satz, der aber auch warnt: Marlene ist tot, nun wird ihr Mythos leben.

Und dieser Mythos hat sich vom Menschen schon lange entfernt, wie ein Blick auf die Gedenktafel zeigt: Irgendeine schöne Dame im Profil mit großem, elegantem Hut – ein Kostümbild, eine Skizze aus einer romantischen Rolle, ohne Beschriftung nicht zu identifizieren. Die Tafel hat der Bildhauer Heinz Spilker zwar mit diversen Filmtiteln umrandet, dennoch erinnert sie weder an eine bestimmte Rolle Marlene Dietrichs, noch an die Privatperson. Die Dietrich wird durch ein solches Konterfei zur Schauspielerin schlechthin verklärt und enthistorisiert. Marlene ist tot, es lebe – die gefällige Diva der Illustrierten: schön, zeitlos, unpolitisch. Petra Kohse

Gedenktafel für Marlene Dietrich, jederzeit zu besichtigen, Leberstraße 56, Schöneberg

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