„Dein Kind siehst du zum letzten Mal“

Eine Bande von Skinheads terrorisiert eine junge Frau in ihrer Mietwohnung in Fürstenwalde bei Berlin/ Die Polizei kann weder einen Tatort noch eine Bedrohung feststellen  ■ Aus Fürstenwalde Corinna Raupach

Der Blutfleck ist heute noch im Treppenhaus zu sehen. „Die haben gerade einen Monat hier gewohnt, da haben sie meine Katze erschlagen. Den abgedrehten Kopf habe ich vor meiner Wohnungstür gefunden.“ Die Stimme von Kathrin F. (Name von der Red. geändert) klingt dumpf. Ihr 19 Monate alter Sohn, fast zu drall für seine schmächtige Mutter, schmiegt sich unruhig an ihre Beine, bevor er weiter über den braungelben Teppichboden der Einzimmerwohnung rutscht.

Sie habe nicht viel mit den anderen Leuten im Haus zu tun, und so habe sie anfangs den Kontakt zu den Brüdern Hesse gesucht, sagt Kathrin F. „Ich war ein paarmal oben und habe sie über die Hausordnung in Kenntnis gesetzt. Dabei hab' ich mal eine Knarre rumliegen sehen, aber ob die echt war, weiß ich nicht.“ Nach dem Tod der Katze brach sie den Kontakt ab. Die regelmäßige nächtliche Randale, die die durchschnittlich zehn betrunkenen Skins in der Wohnung über ihr veranstalten, ließ sie klaglos über sich ergehen, obwohl die überlaute Beschallung mit „Störkraft“, „Böse Onkels“ und den „Toten Hosen“, das „Sieg- Heil“-Gegröle und Lieder wie „Tausend Mann und ein Befehl“ dem Kind schon seit Monaten den Schlaf rauben. Einmal standen die Skins vor der Tür und verlangten ihre Stereoanlage und den brandneuen Fernseher. „Den habe ich noch gar nicht abbezahlt.“ Auf ihre Weigerung hin wurde sie gewürgt und geohrfeigt.

„Wenn du Besuch bekommst, zeige ihnen nur das Umland“

„Was sollte ich denn machen, ich mach' nicht so schnell 'ne Anzeige“, sagt sie. Bewegungslos sitzt sie in dem schäbigen Sessel, nur manchmal streicht sie den dunklen Pony aus der Stirn. Ihre Augen hinter den großen Brillengläsern scheinen ins Leere zu blicken, wenn sie sie auf die schweren, dunklen Möbel, das schmucklose schwarze Fenster, den Topf mit geschälten Kartoffeln richtet. „Ich habe aber geahnt, daß da noch etwas kommt.“

Fürstenwalde, ein Städtchen im Osten Berlins, belebt sich nach Einbruch der Dunkelheit nur, wenn die Regionalbahn aus Erkner ankommt. Die Pendler aus Berlin hasten über den schwach erleuchteten Platz vor dem Bahnhof und zerstreuen sich schnell in die dunklen Gassen der Innenstadt. „Wenn du Besuch bekommst, zeig ihm nicht die Stadt, zeig ihm nur das Umland“, hieß es schon vor der Wende unter den Fürstenwaldern. Desolate Altbauten stehen neben lieblos hochgezogenen Siedlungshäusern aus den 50er Jahren. Wer einen Job hat, kann sich glücklich schätzen, auch wenn er morgens eineinhalb Stunden unterwegs ist. Die beiden einzigen Industriebetriebe, das Reifenwerk Pneumant und eine Tankanlagenbaufirma, siechen vor sich hin, von den 35.000 Einwohnern sind offiziell über 20 Prozent arbeitslos.

Die schmale Straße, in der Kathrin F. wohnt, liegt fünf Minuten von der sogenannten Hauptgeschäftsstraße entfernt. Zwischen baufälligen Altbauten steht der Klinkerbau, um die Jahrhundertwende noch eine chemische Fabrik. „Kein Bad, die Toiletten im Hof, die schlechte Gegend... die Wohnungen wollte schon zu DDR-Zeiten niemand“, so eine Bewohnerin.

Seit Thorsten (28) und Mirko (24) Hesse im Sommer einquartiert wurden, ist es dort mit der Ruhe vorbei. „Wie viele da regelmäßig hausen, weiß ich nicht“, sagt die Nachbarin K. „Die sehen doch alle egal aus mit den Glatzen und diesen Militärstiefeln.“ Nur einen, der ein Hakenkreuz in seine Frisur gebleicht hat, erkennt sie immer wieder. Sie hat gehört, daß die Brüder von Sozialhilfe leben, täglich mit Tüten undefinierbaren Inhalts nach Haus kommen und ständig betrunken sind. Auch nächtliche Ausflüge mit Knüppeln und Baseballschlägern unter dem Motto „Auf nach Frankfurt!“ hat sie beobachtet. Jetzt traut sie sich nachts nicht mehr zu den Toiletten.

Frau Z. beschwert sich ständig bei der Hausverwaltung. „Ich würde aber vor Gericht nicht aussagen. Wir haben alle Angst hier.“ Ihr Mann hat einmal beobachtet, wie zwei dieser Leute einen vorbeifahrenden Radfahrer vom Fahrrad holten und mit einer Heckenschere traktierten. „Hätten zwei Passanten nicht eingegriffen, würde der heute vielleicht nicht mehr leben.“

Nächtliche Überfälle in der eigenen Wohnung

Vorletzten Freitag standen nachts um halb zwei fünf Skins vor der Tür von Kathrin F. „Wenn du nicht aufmachst, treten wir die Tür ein!“ Sie wollte sich noch anziehen, das neben ihr weinende Kind beruhigen. Nach dreimaligem Hauruck waren sie schon in der Wohnung. Zunächst wollten sie Geld, das sie nicht hatte.

Daraufhin rissen sie ihren Spiegel von der Wand, wühlten die Wohnung durch, stapelten die Kohlen zum Mitnehmen in den Flur, plünderten den Kühlschrank und machten sich im Zimmer breit. „Einer zog ein Messer und bedrohte den Kleinen. Er sagte immer: ,Schau ihn dir noch mal an, das ist das letzte Mal, daß du ihn lebend siehst.‘“ Kathrin F. verharrte vor Angst wie gelähmt im Bett. „Ich wollte noch durchs Fenster raus, aber da liegt alles voll Glasscherben, weil die ihre Schnapsflaschen immer aus dem Fenster werfen.“

Das Schlafzimmer der Familie Z. liegt direkt neben dem Treppenhaus. „Als wir den Lärm dort hörten, das Hauruck und das Krachen der Tür haben wir sofort die Polizei gerufen“, sagt Frau Z. Die kam nach einer dreiviertel Stunde und wäre gleich wieder gefahren, hätte Herr Z. ihnen die überfallene Wohnung nicht gezeigt. „Gehen Sie bitte nach Hause“, heißt es zu den Einbrechern, „wenn Sie Anzeige erstatten wollen, kommen Sie morgen früh aufs Kommissariat.“ Nach zwei Minuten sitzt Kathrin F. mit dem Kind allein hinter der kaputten Tür. Sie irrt daraufhin stundenlang durch das nächtliche Fürstenwalde, in der vergeblichen Hoffnung, bei irgendeinem Bekannten noch Licht zu sehen.

„Hier liegen mehrere Straftaten vor, schwerer Hausfriedensbruch zumindest, wenn nicht Einbruch, räuberische Erpressung, Bedrohung, Sachbeschädigung und unter Umständen ein Verstoß gegen das Waffenbesitzrecht“, sagt Rechtsanwalt Dieter Hummel, der Frau F. vor Gericht vertreten will. Die Polizei hätte zumindest Strafanzeige erstatten, den Sachverhalt protokollieren, eine Tatortuntersuchung und Spurensicherung einleiten und sich nach möglichen Zeugen umhören müssen. Angesichts der unmittelbaren Bedrohung der jungen Frau durch die über ihr wohnenden Täter sei selbst eine Sistierung zu erwägen gewesen. Es gibt Juristen, die ein solches Verhalten als Strafvereitelung im Amt gemäß § 158 StGB beurteilen, zumindest aber als unterlassene Diensthandlung, da sich unter den oben genannten Taten Offizialdelikte befinden.

„Ja, wenn ein Tatort festzustellen gewesen wäre, hätten die Beamten den selbstverständlich untersucht“, so der Fürstenwalder Polizeisprecher Detlef Lüben. Aber man hätte dort gemütlich gesessen und Fernsehen geschaut, die Geschädigte habe ruhig im Bett gelegen, und Waffen seien nicht gesichtet worden. „Aus Sicht der Beamten bestand kein gespanntes Verhältnis.“ Die Personen seien alle einschlägig bekannt. Beide Brüder seien wegen Diebstahls vorbestraft und auch schon des öfteren wegen Alkoholmißbrauchs aufgefallen.

Kathrin F. zog wieder in ihre Wohnung ein. Die Gebäudeverwaltung hat ihre Tür mit zwei Holzbalken verstärken und den Rahmen notdürftig flicken lassen. „Und zu Hause ist zu Hause, oder? Ich wohne hier schon seit 1987, das war vorher 'ne ruhige Ecke. Ich kann mich doch nicht immer verdrücken“, sagt sie hilflos. Eine andere Wohnung könnte sie sich auch gar nicht leisten.

Sozialhilfe muß sie ohnehin noch beantragen, in der letzten Zeit lebte sie vom Mutterschaftsgeld. Vorher arbeitete sie sieben Jahre in der Reifenfabrik, „aber die wollen mich nicht mehr. Ich hab' damals zu viele Schichten verbummelt.“

Eine kleine Skinhead-Gruppe sorgt für Angst und Schrecken

Die Hesse-Brüder kennt in Fürstenwalde jeder. Sie gehören zu keiner der relativ stabilen Skinhead-Gruppen. In letzter Zeit verkehren sie häufig im „Jugend-Club Mitte“. Hier trifft sich eine Gruppe rechtsradikaler Skinheads. Nach Einschätzung eines Sozialarbeiters, der vergleichbare Strukturen aus Eberswalde kennt, sind die Brüder nicht der politisch motivierten rechtsradikalen Szene zuzuordnen. Die undifferenzierte Gewalt richte sich gegen Schwächere, gegen Frauen, Alte, Kränkliche. „Eigentlich sind das depravierte Kriminelle, die ideologische Versatzstücke gebrauchen, weil sie sich gerade anbieten.“

Die Wohnung, in der die Brüder bis zum Sommer gehaust hätten, hätten sie ebenfalls verwüstet, sagt der Geschäftsführer der Gebäudewirtschaft, Lutz Pötzscher. „Die zahlreichen Kinder der 20 direkt betroffenen jungen Familien sind ständig erschreckt worden. Einen Kollegen, der das ,Auschwitz lebt, Juda verrecke‘ an der Wand photographieren wollte, haben sie mit den Fäusten bedroht.“ Man habe den beiden jetzt fristlos gekündigt und Anzeige erstattet wegen Einbruch, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, nächtlicher Ruhestörung und Brandstiftung in der eigenen Wohnung. Wann es zum Verfahren kommt, steht in den Sternen. Für ganz Fürstenwalde sind nur zwei überlastete Staatsanwälte aus Frankfurt/Oder zuständig.

Kathrin F. wohnt mittlerweile bei einer Freundin. Als sie letzten Freitag morgen nach Haus kam, lag ihr neuer Fernseher zertrümmert im Hof. In ihrer Tür befand sich ein etwa 30 mal 60 Zentimeter großes Loch, und das Schloß war aufgebrochen. Der offensichtlich dazu verwendete Schraubenzieher lag im Treppenhaus. Sie konnte die verklemmte Tür nicht öffnen und kroch durch die schmale Öffnung. Ihre Wohnung fand sie völlig demoliert, und ihre Stereoanlage war verschwunden.

Die beiden herbeigerufenen Polizisten sahen sich die Wohnung gar nicht erst an. „Sie wollten die Tür nicht noch mehr beschädigen“, erläutert der Wachtdienstführer. Spuren in der Wohnung hätte man daher nicht sichern können. Der Fernseher im Hof sei naß, da könne man nichts mehr ersehen. „Die Geschädigte hat zwar den Verdacht geäußert, die Bürger Hesse, wohnend im selben Haus, seien dafür verantwortlich. Aber es gab keine Zeugen, da konnten die Beamten nichts weiter machen.“ Den Schraubenzieher übersahen sie trotz mehrerer Hinweise der Nachbarn geflissentlich. „Eine weitere Bedrohung war für die Beamten nicht ersichtlich.“