Halb Mölln protestiert gegen das Pogrom

Tausende Einwohner der schleswig-holsteinischen Kleinstadt protestieren auf zwei Demonstrationen gegen den Mord an drei türkischen Immigrantinnen durch Rechtsradikale  ■ Aus Mölln Bascha Mika

„Mord an türkischen Mitbürgern! Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe!“ In der Innenstadt von Mölln sieht man am Dienstag morgen Beamte eines Sondereinsatzkommandos bei ungewöhnlicher Arbeit: Sie verteilen Flugblätter. Darin werden die BewohnerInnen aufgefordert, die Kripo bei der Fahndung nach den Brandstiftern von Mölln zu unterstützen. Sonntag nacht verbrannten in der Kleinstadt eine Frau und zwei Kinder. Türkinnen. Wer denkt seit dem noch an Eulenspiegel, der seinen Schabernack zwischen diesen Backsteinfassaden getrieben haben soll?

Auf dem Platz bei der Post stehen SchülerInnen der Berufsschulen zusammen. Sie weigern sich, zum Alltag überzugehen, lassen den Unterricht ausfallen, organisieren einen Schweigemarsch. Es ist die dritte Demonstration seit der Brandnacht. Auch am Montag waren es SchülerInnen, die zuerst auf den Mordanschlag reagierten und nachmittags durch die Stadt zogen. Für den Abend hatten Parteien und Gewerkschaften die MöllnerInnen aufgerufen, ihren Protest auf die Straße zu tragen.

Tausende der rund 17.000 Einwohner kamen. Halb Mölln schien auf den Beinen: Kinder, Jugendliche, Erwachsene jeden Alters. Das Döner-Restaurant „Pamukkale“ am Bahnhof schloß für zwei Stunden. Die Familie G. wollte mitdemonstrieren. „Bisher hab ich es hier nie schwer gehabt“, erzählt Safi G. Wie die meisten seiner türkischen Landsleute wohnt er seit Jahren in Mölln. „Ob ich jetzt Angst habe? Nur wenn ich schlafe.“

Die Menschen sammeln sich am „Bauhof“ – und warten verwirrt. Statt einer Demonstration gibt es plötzlich zwei, und jede zieht in eine andere Richtung davon. An der Spitze der einen tragen Vertreter türkischer Organisationen Spruchbänder und Bilder des ermordeten zehnjährigen Mädchens. „Nazis vertreiben“ und „Hoch die internationale Solidarität“ schallt es durch die trübe Luft. Doch die Möllner TürkInnen, die in langen Reihen nebeneinander laufen, schweigen. Der andere Zug – ganz vorne Günther Grass – geht ruhig Richtung Kirche. Fackeln brennen. Es ist den MöllnerInnen anzusehen, was sie an diesem trübkalten Novemberabend auf die Straße trieb: Mit den Bewohnern von Rostock-Lichtenhagen, die beim Angriff auf ein Flüchtlingswohnheim Beifall klatschten, wollen diese hier nicht verwechselt werden. „Die lebten doch schon seit zig Jahren hier“, regt sich ein Mittfünfziger auf, „und nie gab's Probleme.“ Ein grauhaariger Mann, für den dies die erste Demo seines Lebens ist, pflichtet ihm bei. Als leitender Angestellter einer großen Firma will er aus Solidarität mit den ausländischen Kollegen mitdemonstrieren. „Das Rechtsbewußtsein ist erodiert“, sinniert er und stopft die Hände in die Taschen. „Doch mit sowas konnte niemand rechnen. Ich hab immer gedacht, diese Rechten – da ist doch nicht mehr dahinter als normale jugendliche Aggression.“

Demonstrationen auch anderswo

Berlin (AP/AFP/dpa/taz) – In mehreren deutschen Städten haben am Montag Tausende von Menschen gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit demonstriert. Mit einem Schweigemarsch protestierten rund 5.000 Menschen in Berlin gegen die Täter von Mölln. An der friedlichen Demonstration auf dem Kurfürstendamm beteiligten sich zahlreiche ausländische ImmigrantInnen. Die Ausländerbeauftragte des Landes Berlin, Barbara John, rief bei der abschließenden Kundgebung dazu auf, „enger zusammenzurücken, um die Täter zu isolieren“. Von einem Teil der Demonstranten wurden die Worte der CDU-Politikerin mit Buh- und „Heuchler“-Rufen sowie Pfiffen bedacht. Großen Beifall fanden dagegen die Äußerungen einer Freundin des in der Nacht zum Samstag in Berlin ermordeten Silvio Meier. Sie machte die Politik der Bundesregierung für die zunehmenden Gewalttaten verantwortlich und warf der Polizei vor, rechtsextreme Gewalt zu verschleiern.

In Berlin-Kreuzberg nahmen rund 1.500 Menschen an einer spontanen Demonstration teil. Bei Auseinandersetzungen wurden nach Polizeiangaben 37 Polizisten verletzt. Über verletzte DemonstrantInnen gab es zunächst keine Angaben. Die Polizei löste die Demonstration nach zwei Stunden unter Wasserwerfer- und Schlagstockeinsatz auf. An einer Demonstration in Hamburg beteiligten sich knapp 3.000 Menschen. Mit einer Mahnwache wurde in Frankfurt am Main der Toten von Mölln gedacht. Schon am Mittag hatte es in Frankfurt eine Demonstration von rund 700 SchülerInnen gegeben. Etwa 650 Menschen demonstrierten in Göttingen gegen die Mordanschläge in Mölln.