Restlichtaufnahmen

■ Preisträger des Marler Videokunstpreises in Berlin

Nachdem die deutsche Videoszene jahrelang „leichte Muse“ pflegte – elegant gemachte, nichtssagende, computeranimierte Nettigkeiten – wendet sich jetzt ein Teil wieder den dokumentarisch arbeitenden, politisch intentionierten Techniken zu. Den ersten Preis von Marl teilen sich diesmal zwei Künstler, die Jury fand die beiden sehr gegensätzlichen Arbeiten gleichermaßen interessant.

Angela Melitopulos, die schon 1986 den Marler Video-Kunst- Preis für „Above and below ground“ bekam, zeigte diesmal „Transfer“, eine Kollage von Restlichtaufnahmen von Gesichtern in der Pariser Metro. Im Kopfumdrehen verwischen die Züge, aber plötzlich, mit einem Ruck, blicken Menschen direkt in die Kamera, die Rolltreppen rollen, die elektrischen Türen zischen zu, die Schranken knarren, Menschen schleusen sich durch den Tunnel. Pariser Passagen, ganz im Sinne Benjaminscher Doppeldeutigkeit: auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, und unterwegs sein in der Stadt sind ein und derselbe Prozeß. Indem Melitopulos Bilder verlangsamt und durch elektronische Bearbeitungen extrem grobkörnig aussehen läßt, entstehen Bilder, die an das frühe Sandmännchen aus der DDR erinnern, daß einem so nett Schlaf in die Augen streute.

Ganz im Gegensatz dazu steht Volker Schreiners „Open Up“, eine rasante Folge von sich überlagernden Tapeten, öffnenden Türen, Türklinken, Schlössern, deren Witz darin besteht, daß sie, ebenfalls wie Traumbilder, ein Eigenleben zu führen scheinen.

Wirklich ulkig ist Björn Melhus' „Das Zauberglas“. Ein Kerl sitzt vor dem Fernseher und rasiert sich. Auf dem Bildschirm ist sein geschminktes Konterfei in einem Blumenbeet zu sehen, das in tuntiger Stimmlage immer die gleichen dämlichen Fragen wiederholt, die aus einem Hollywoodfilm stammen. Sagt er, mindestens fünfmal: „Ich rasiere mich. Ich rasiere mich.“ Haucht sie: „Warum tust du das nur? Warum tust du das nur?“ Völlig gaga reden die beiden etwa sechs Minuten lang aneinander vorbei. Wer den Hollywoodfilm errät, aus dem dieser verzweifelte Unsinn stammt, wird zu einem Essen in der taz-Kantine geladen. mn

Marler Videopreisträger, zu sehen beim Neuen Berliner Kunstverein und der Botschaft e.V., Kronenstraße 3, Berlin Mitte, bis zum 29.11. um 20 und 21 Uhr.