Village Voice
: Auf dem Narrenschiff

■ Georgette Dee & Terry Truck live im Schiller-Theater

Live is life. Und Live-Mitschnitte sind für einen Fan das Größte überhaupt. Kann er doch hier einen Schimmer jener Authentizität erhaschen, den die Tontechniker in den High-Tech- Studios sonst so kunstfertig wegfiltern, um dem eingespielten Musikprodukt die größtmögliche Perfektion zu verleihen. „Mehr verliebte Lieder“, die erste CD von Georgette Dee, langjährige Deutsche Meisterin des Kleinkunstbühnen-Live-Acts, war dafür ein gutes Beispiel: in der sterilen Atmosphäre eines Aufnahmestudios wurden ihre lebenstollen Liebeslieder zu sauber gesungener Poesie – eine Qualität auch das, gewiß. Aber nicht das, wofür die Dee-Fans ihre Dee so lieben.

Sie hat ihr Handwerk zehn harte Jahre lang auf den kleinen Kneipenbühnen Berlins gelernt, im „Unart“ zum Beispiel, oder gelegentlich auch im Moabiter Knast. Und diese harte Schule hat sie letztlich zu dem gemacht, was Berlins fulminanteste Off-Diseuse heute ist: ein Live-Act- Knaller. So war es eine folgerichtige Idee, den Höhepunkt der diesjährigen Dee-Live-Saison, ihren Auftritt im Schiller-Theater, mit einem Konzertmitschnitt zu krönen. „Georgette Dee & Terry Truck live im Schiller-Theater“, dieser Tage bei „viellieb records“ erschienen, hätte die absolute Kult-CD werden können, tontragender Ersatz für jene Dee-freien Tage, an denen Georgette ihr Leben auf dem Lande verbringt oder leidige vertragliche Verpflichtungen im Hamburger Tivoli erfüllt.

Aber weil im Leben nichts weniger kalkulierbar ist als ein Bühnenauftritt der für ihre Launenhaftigkeit (und Trinkfestigkeit) bekannten Georgette Dee, weil das Schiller-Theater-Gastspiel vor ausverkauftem Haus unerwartet zu einem gewagten Drahtseilakt wurde, als Georgette und ihr Pianist Terry Truck plötzlich der Größe des Hauses gewahr wurden, ist auch die nun nachgereichte Dokumentation des Konzertes nicht das geworden, was man sich davon versprach.

In wenigen hastigen Etappen hakt die CD die erste bange Stunde jenes Märzabends ab, an dem die Dee einen ungewöhnlich schrillen Diskant der Aufregung in der Stimme hatte, wo ihre stadtbekannten Plaudereien eher hektisch waren, und die Nervosität sie fast zu verschlingen drohte. Terry Truck, sonst souveräner Begleiter, griff seinerzeit ein ums andere Mal in die falschen Tasten, die Diseuse vergaß den Text eines ihrer ältesten Lieder – alles unbrauchbare Minuten für die Tontechniker. Einen Truckschen Patzer aus der ersten Viertelstunde haben sie dann doch durch die Endkontrolle rutschen lassen. „Zehn Frauen“ wurde so eine dissonante Reminiszenz an den schlingernden Verlauf dieser Nacht, in der die Dee erst nach der Pause – und nach etlichen Burgunderflaschen – zu wahrem Stil und Können auflief.

Als das Wunder dann endlich geschah, war die göttlich ergebene Fangemeinde im Parkett bereits von der Hysterie auf der Bühne derart angesteckt, daß man ergeben alle Faxen der Diseuse mit schrillen Lachern kommentierte. Nun ist diese akustische Solidaritätskundgebung ungefiltert und unvermittelt in Vinyl verewigt. Ihres visuellen Ursprungs beraubt, können die Kiekser und unmotivierten Lacher dem unbedarften Hörer nun nicht viel mehr geben als das Gefühl, heimlich in die Teegesellschaft eines sinkenden Narrenschiffs hineinzulauschen.

Auch musikalisch ist nicht alles leicht verständlich. Zwar sind die zwölf Songs, die von vielen kleinen Geschichtchen der Dee umrahmt werden, allesamt Höhepunkte eines zehnjährigen Diseusenschaffens, aber gelegentlich kommen die die verschliffenen Holländer- und Weill-Adaptionen doch allzu wirr daher. Selbst die alte Dee-Liebes-Hymne „Alles von mir“, in der der Herr Truck ein letztes Mal Chopin spielen soll, bevor der Ozeandampfer untergeht, zitiert seine Vorlage nur noch rudimentär. Ein Kabinettstückchen für alle, die den Song bereits im Schlaf mitsingen können, aber nichts für Dee-Anfänger, denen der Text noch ein Schiff mit sieben Siegeln ist.

Trotzdem war die CD bereits kurz nach ihrem Erscheinen ein Renner in den alternativen Buch- und Plattenläden. Immerhin waren ja über tausend Dee-Abhängige seinerzeit selbst live dabei, für sie ist der Konzertmitschnitt sicher eine schöne Erinnerung an einen aufregenden Abend. Alle anderen sollten sich aber vielleicht doch besser an die alten Platten des Duos halten oder zur Einführung wenigstens auf einen ihrer nächsten Auftritte warten. Klaudia Brunst

„Georgette Dee & Terry Truck live im Schiller-Theater“, viellieb records, Postfach 2108, 3103 Bergen 2