■ Ruppert von Plottnitz, Verfassungsrechtler und Vorsitzender der Landtagsfraktion der hessischen Grünen zu des Bundesinnenministers neuester Idee
: „Das schlechte Gewissen meldet sich“

taz: Innenminister Seiters (CDU) läßt prüfen, ob Rechtsradikalen Grundrechte wie das auf freie Meinungsäußerung oder das Wahlrecht aberkannt werden können. Sind solche drastischen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte mit dem Grundgesetz vereinbar?

Rupert von Plottnitz: Es gibt im Grundgesetz eine entsprechende Vorschrift. Im Artikel 18 heißt es, daß wer die Freiheit der Meinungsäußerung, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentumsrecht oder das Asylrecht zum Kampf gegen die freiheitlich- demokratische Grundordnung mißbraucht, diese Grundrechte verwirkt. Die Verwirkung und das Ausmaß dieser Verwirkung, so heißt es im Verfassungsartikel weiter, werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Wenn also ein Rechtsradikaler offen zum Völkermord aufruft, hätte er – laut Grundgesetz und einer entsprechenden Entscheidung des Verfassungsgerichts – sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verwirkt. Hat Seiters demnach einen verfassungsrechtlich abgesicherten Weg im Kampf gegen den Rechtsradikalismus beschritten?

Es gibt diesen Verfassungsartikel. Und er kann in einem solch gravierenden Fall nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichtes auch zur Anwendung gebracht werden. Aber ich behaupte, daß der Artikel 18 eine Vorschrift ist, die nur dann angewandt werden kann, wenn alle anderen Maßnahmen vor allem strafrechtlicher Natur sich als wirkungslos erwiesen haben.

Offenbar geht es bei den hektischen Reaktionen aus Bonn um Signale oder Symbole: Es werden Verbote gegen neonazistische Vereinigungen ausgesprochen, es wird überlegt, den Rechtsextremisten die Grundrechte abzuerkennen. Ist das denn realiter ein sinnvoller politischer Kampf des Staates gegen die rechtsradikalen Mörder und ihr Sympathisantenumfeld?

Es ist vor allem ein Ausdruck von schlechtem Gewissen, weil mit der unseligen Fortsetzung dieser Asyldebatte den Rechtsextremisten weiter zugearbeitet wird. Solange in der Öffentlichkeit weiter der Eindruck vermittelt wird, daß es in Deutschland nur ein zentrales Problem gebe, nämlich die Existenz des Grundrechtes auf Asyl und die daraus resultierenden angeblichen Flüchtlingsströme, werden rechtsradikale Tendenzen nachgerade begünstigt. Wenn man sich in Bonn nicht bald dazu durchringen kann, den Rechtsradikalismus zum zentralen Problem zu erklären, werden die Rechtsextremisten aus der laufenden Asyldebatte weiter die Legitimation für ihr strafrechtlich relevantes Handeln ableiten. Mein Eindruck ist, daß die Bundesregierung monatelang geschlafen hat und die Verantwortlichen in Bonn nach den Morden von Mölln nun zwar aufgewacht sind, daß sie aber dabei sind, blind um sich zu schlagen. Das gilt insbesondere für den Ruf nach schärferen Gesetzen, ehe überhaupt die bestehenden Gesetze voll zur Anwendung gebracht wurden. Und das gilt auch für solche Ultima-ratio-Vorschläge wie den auf Antragstellung zur Aberkennung der Grundrechte von Rechtsradikalen beim Bundesverfassungsgericht.

Was ist Ihrer Auffassung nach das Gebot der Stunde im politischen Kampf gegen den Rechtsextremismus?

Ich würde dringend dazu raten, die gesamte Asyldiskussion solange auszusetzen, bis das Morden nicht mehr zum politischen Alltag der Bundesrepublik gehört: Moratorium in dieser Debatte und Konzentration aller staatlichen Anstrengungen auf die Brechung der Terrorwelle von rechts. Weiter muß in der Tat geprüft werden, welche dieser neonazistischen Vereinigungen faktisch nur Tarnvereine zur Begehung strafbarer Handlungen sind. In bin für Verbote in begründeten Fällen. Das läuft nicht darauf hinaus, neues Recht zu schaffen, sondern bestehendes Recht konsequent anzuwenden. Und letztendlich eine Konzentration auf all die Dinge, die auf dem strafrechtlichen Sektor bislang vernachlässigt wurden – etwa eine konsequentere Einschaltung des Generalbundesanwaltes und der Einsatz des BKA nach rechtsterroristischen Anschlägen. Der Staat hat die rechtsstaatlichen Mittel, über die er verfügt, sehr viel umfassender und energischer als das bis heute geschehen ist, zum Einsatz zu bringen. Es muß endlich allen Beteiligten klar werden, daß es nicht die Flüchtlinge sind, die – bei allen Unterbringungsproblemen – den Rechtsstaat bedrohen, sondern daß der Rechtsradikalismus diesen Rechtsstaat bedroht. Solange das nicht Konsens wird, kann man – auch nach einer Aberkennung von Grundrechten bei einzelnen Rechtsradikalen – nicht sehr optimistisch in die Zukunft blicken.

Interview: K.P.Klingelschmitt