Der netteste Künstler der Welt

Abschied vom Kitschzeitalter: Das Stedelijk-Museum feiert Jeff Koons und Koons das Stedelijk  ■ Von Jörg Lau

Der Legende nach ist der Begriff „Kitsch“ am Anfang dieses Jahrhunderts in München geprägt worden, zunächst als Bezeichnung für bestimmte Skizzen („sketches“), die bei den amerikanischen Touristen guten Absatz fanden. Was fürs schnelle Verkaufen bestimmt war, das, sagt man, sei fürs „Verkitschen“ gemacht. Norbert Elias hat als erster, nämlich bereits im Jahr 1933, den Kitsch als ästhetisches Schlüsselproblem der Moderne erkannt. Während etwa der strikte Modernist Hermann Broch damals noch im Kitsch „das Böse im Wertsystem der Kunst“ erkannte und den Erzeuger von Kitschprodukten kurzerhand einen „ethisch Verworfenen“ oder einfach einen Verbrecher nannte, sprach Elias bereits ganz wertfrei von der „kapitalistischen Formensprache“ als „Kitschstil“. Das einzig Einheitliche am bürgerlich-kapitalistischen Stil und Geschmack, so Elias' paradoxe Diagnose, sei „die größere Formunsicherheit, die für jedes ästhetische Schaffen innerhalb der industriellen Gesellschaft konstitutiv ist“. Das charakteristische „In- und Nebeneinander von Niveau und Niveaulosigkeit, nicht nur bei verschiedenen, sondern oft bei ein und demselben Menschen“ (und nicht nur bei den minderen Talenten, sondern auch bei den „stärksten Gestaltern“) berechtige, von der ästhetischen Moderne als „Kitschzeitalter“ zu sprechen.

Wenn es etwas gibt, das die heterogenen Werke von Jeff Koons, dem Amerikaner, der seit 1988 in der heimlichen Hauptstadt des Kitschzeitalters – München – lebt, zu einem ×uvre zusammenzuschließen erlaubt, wie es jetzt eine große retrospektive Ausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum tut, dann ist das ihre Affinität zum Kitsch. Keiner jener Künstler, die in den achtziger Jahren zu Ruhm und Reichtum kamen, hat sich mit solcher Leidenschaft dem Problem des Kitsches – der Spannung zwischen dem reich durchgebildeten Geschmack der Spezialisten und dem unsicheren Geschmack der Massengesellschaft – gewidmet wie Jeff Koons. Diese Obsession, die sich schon 1979 in der Installation „Inflatable Flowers“ machtvoll ankündigte und in den Nippes-Nachbildungen in rostfreiem Edelstahl aus dem Jahr 1986 („Rabbit“; „Louis XIV“) einen ersten spektakulären Höhepunkt fand, kulminierte schließlich in einer Serie von monumentalen fotorealistischen Schaubildern, die das Ehepaar Koons/Staller beim beiderseitigen Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge zeigen. Letzte Konsequenz der alles umfassenden Selbstverkitschung: der aus den abgebildeten Handlungen resultierende Sohn des Künstlers ist, wie der stolze Vater bei der Pressekonferenz einem amüsierten Publikum mitteilte, kürzlich auf den Namen Ludwig Maximilian getauft worden. Auch entschiedenen Feinden des Kitsches, die ihren Kunstbegriff noch an den exemplarischen Werken der klassischen Moderne gewonnen hatten, war nicht verborgen geblieben, daß der Kitsch sich nicht, einem gebildeten Vorurteil entsprechend, als bloßes Abfallprodukt der Kunst abtun ließ. Theodor W. Adorno etwa meinte, der Kitsch sei als „Giftstoff“ aller Kunst beigemischt: „Ihn aus sich auszuscheiden, ist eine ihrer verzweifelten Anstrengungen heute.“ Und auch Hermann Broch gestand sich schließlich ein: „Ohne einen Tropfen Kitsch geht es in keiner Kunst ab.“ In den Werken von Jeff Koons wird die Relation ironisch umgekehrt: Sie sind Kitsch mit einem giftigen Tropfen Kunst.

Am deutlichsten läßt sich dies an der programmatischen Skulptur „Ushering in Banality“ (1988) – zu deutsch etwa: „Ankündigung der Banalität“ – erfahren, die im Besitz des Stedelijk Museum ist und einen Schlüssel zu den übrigen Exponaten darstellt. Es handelt sich um die lebensgroße Holzskulptur eines Schweins mit grüner Schleife um den Hals, das von zwei Putten und einem Kind geschoben wird. Alle Elemente dieser monumentalen Skulptur sind schon Kitsch reinsten Wassers. Koons reicht es aber nicht, sie zu zitieren, denn seine erste Absicht ist es natürlich nicht, den kleinbürgerlichen Geschmack in solcher Verfremdung der Lächerlichkeit preiszugeben. Nein, er hat diesen Banausentraum in der Manier gediegener Herrgottsschnitzerei nachschaffen lassen, Kunsthandwerk höherer Güte von gleichwohl unermeßlicher Scheußlichkeit, das bestens geeignet scheint, den Sammlern und dem interessierten Publikum jenes Gefühl wohliger Erniedrigung zu verschaffen, das Koons' Kunst so anders, so anziehend macht.

Freilich liegt hier auch der Grund für jenen Hauch von Langeweile, der einen in den Amsterdamer Kitschkabinetten anweht. Koons' Ironie hat in seinen Objekten nur selten die Kraft der göttlichen Frechheit, die seine Auftritte auszeichnet. Köstlich, wie er da mit undurchdringlich treuem Blick einer ratlosen Pressekonferenz zu Protokoll gibt, seine Kunst diene zu nichts Geringerem als dazu, „Denk- und Sehgewohnheiten aufzubrechen“ – um gleich darauf dem Publikum dringend ans Herz zu legen, das Wichtigste sei die Versöhnung mit der Vergangenheit, und niemand solle auf den barbarischen Geschmack seiner kleinbürgerlichen Herkunft mit Verachtung herabsehen. Der smarte Herr Koons läßt sich durch nichts und niemanden aus der Reserve locken. Keine der provokant gemeinten Fragen scheint ihn in seiner perfekt einstudierten Haltung potenzierter Ironie erreichen zu können. Sicher, stimmt er zu, Sex sei eine „wichtige Dimension“ seines Werks. Jeder solle erkennen, heißt es dann im onkelhaften Ton eines Sexualtherapeuten, wie „bereichernd“ ein erfülltes Sexleben sei. Ob er stolz auf seine Karriere sei? Selbstverständlich, sagt er, und setzt die aufrichtige Miene eines all american boy auf. Er gratuliert dem Stedelijk Museum und dem Organisator der Retrospektive, Wim Beeren, sich mit dieser Ausstellung ein weiteres Mal on the cutting edge of contemporary art zeigen zu können. Und vor dem Lächeln, mit dem der Künstler dergleichen hervorzubringen vermag, zerstäuben selbst hartnäckigste Vorbehalte: Jeff Koons, der netteste Künstler der Welt.

Da muten die im Katalog dokumentierten Aufsätze rätselhaft an in ihrem eifrigen Bemühen, den Künstler und sein Werk zu dämonisieren. Dieser charmante und witzige, stets verbindlich-unverbindliche und niemals unhöfliche Herr Koons sollte tatsächlich ein „böser Geist, ein Beelzebub“ (Peter Schjeldahl) des Kunstbetriebs sein? Raunen die Staubsauger- Readymades vom Beginn der achtziger Jahre wirklich so düstere Botschaften wie die folgenden, die Gudrun Inboden aufgeschnappt haben will: „Hygiene und Moral sind identisch mit einer Kultur, die den Körper fetischisiert und jede Art darüber hinausgehender erotischer Kommunikation als suspekt, weil unkontrollierbar, ablehnt“? Steht der Basketball im Aquarium („One Ball Totals Equilibrium Tank“; 1985) für den „fatalen Gleichgewichtszustand der Entropie (...), wo Wärme nur gedacht werden kann im Kontext körperlicher Ertüchtigung und diese verstanden wird als gesellschaftliche Leistung: Energie und Eros sind im geschlossenen System narzißtischer Körperkultur auf den absoluten Ruhepunkt der Unfruchtbarkeit gebracht und keimfrei eingefroren“?

Was treibt die Kritikerpoesie in solche trunkenen Schlingerbewegungen hart am schneidenden Rand höheren Nonsens? Woher das ängstliche Bemühen, auch noch den letzten bescheidenen Bilderwitz der Jeff Koons Inc. Produktions, New York, brachialhermeneutisch zu adeln?

Wer sich die Ausstellung mit einiger Ruhe anschaut – sie wird vom 12. März an auch in Stuttgart zu sehen sein –, dem wird die Beflissenheit der Interpreten bald als Kompensation eines offenbaren Mangels erscheinen. Die Kunst von Jeff Koons scheut keine grelle Geste, aber sie läßt einen doch merkwürdig kalt. Sie hat außerhalb der – zugegebenermaßen unterhaltsamen – Auftritte des Künstlers keinen Bestand. Der monströs fröhliche „Michael Jackson and Bubbles“ (1988) im Stil einer zuckersüßen Nippesfigur wirkt heute wie ein trauriges Stück Strandgut der achtziger Jahre – einer glücklichen, naiven Zeit im Windschatten der Geschichte. Jenes historische „Vakuum“ (Schjeldahl), in dem die Werke von Jeff Koons eindrucksvoll als Apotheosen des Kitschzeitalters auftreten konnten, hat aufgehört zu existieren.

Jeff Koons, Stedelijk Museum Amsterdam, bis zum 3. Januar 1993. In der Staatsgalerie Stuttgart 12. März bis 18. April 1993.