Sanssouci
: Nachschlag

■ Olga Tschechowa wird wissenschaftlich erforscht

Im zaristischen Rußland großbürgerlich aufgewachsen, als Teenager Stanislawskijs Moskauer Künstlertheater beigetreten, mit siebzehn den berühmten Cousin Michael geheiratet, am Vorabend der Revolution ein Kind bekommen, kurz darauf schon wieder geschieden, 1920 halbverhungert zu Hamsterkäufen nach Berlin gefahren – und dort geblieben. Mit dreiundzwanzig hatte Olga Tschechowa schon mehr erlebt als andere im ganzen Leben. Und ihre eigentliche Zeit begann erst.

Im weimardeutschen Filmgeschäft war sie so etwas wie eine Senkrechtstarterin. Bald nach ihrer Ankunft in Berlin stand sie schon mit Paul Hartmann und Paul Bildt vor der Kamera. Murnaus „Schloß Vogelöd“ machte sie 1921 mit einem Schlag bekannt. Die junge Russin mit den großen, melancholischen Augen, dem schmalen, sinnlichen Mund und einer Mimik, die sie entgegen der Mode expressionistischen Grimassierens ganz realistisch entwickelte, war von der ersten Einstellung an ein Charakter. Olga Tschechowa wappnete sich mit Sprachunterricht für den Tonfilm, holte Mutter, Tochter, Schwester und Nichte nach Berlin und wurde dort ein deutscher Filmstar. Bis 1933 spielte sie in mindestens fünfzig Filmen und führte als eine der ersten Frauen Regie.

Auch die Nazis mochten auf die dunkle Schöne nicht verzichten, und die Tschechowa ihrerseits störte sich wenig an den neuen Herren in Deutschland. Sie erschien zur Teestunde im Haus Goebbels' und kümmerte sich ansonsten um ihre Karriere. Nach dem Zusammenbruch des Nazireiches wurde ihr diese erstaunlicherweise kaum vorgeworfen. Für ein paar Wochen holten die Russen sie zum Verhör nach Moskau, brachten sie aber bald unversehrt und gut gefüttert wieder zurück. Dennoch stützte sich Olga Tschechowa ab den fünfziger Jahren zunehmend auf ihr zweites berufliches Standbein, die Kosmetikbranche. Als sie 1980 starb, war sie eine bestsituierte Firmenchefin.

Olga Tschechowa wird derzeit von Renate Helker und Claudia Lenssen im Rahmen ihres Projekts „Russen im Exil“ für Cinegraph Babelsberg filmwissenschaftlich erforscht. Noch bevor die angekündigte Tschechowa-Publikation erscheint, haben die beiden in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin eine kleine Retrospektive organisiert, die am Sonntag zu Ende ging. Neun Olga-Tschechowa-Filme wurden im Zeughaus Kino gezeigt, die Stummfilme (unter anderem Duponts „Moulin Rouge“ von 1927/28) mit Klavierbegleitung. In kurzen Einführungen stellten die Forscherinnen einige ihrer Thesen vor, zum Beispiel die, daß die Sinnlichkeit der Tschechowa zu Anfang der Filme oft exponiert, dann aber wieder „wegzensiert“ wurde. Und tatsächlich: Als böse Versucherin oder Verzichtende steht die mondäne Olga beim Happy-end- Kuß meist schon lange im Off. Der deutsche Mann sollte auf Dauer eben lieber einer Wessely in die Arme als einer Tschechowa zu Füßen fallen. Aber auch mit diesem filmischen Schicksal ließ es sich in der braunen Zeit gut leben. Petra Kohse