Mitterrand für Demokratisierung

■ Später Vorschlag disqualifiziert Verfassungsreform zum Wahlkampfmanöver/ Stärkung des Parlaments

Paris (taz) – Ganz Frankreich ist sich einig, daß die Verfassung von 1958 reformiert und das Parlament zu einer wirklichen Gegenmacht aufgewertet werden muß. „Die monarchische Entgleisung der Fünften Republik muß korrigiert werden“, faßte der frühere Justizminister Peyrefitte das Unbehagen zusammen. Präsident François Mitterrand hatte sich bereits vor seinem Amtsantritt vor elf Jahren für konkrete Änderungen ausgesprochen. Doch erst am Montag abend legte der Präsident seine Vorschläge vor.

Mitterrand wünscht sich insbesondere die Möglichkeit, daß „alle wichtigen Fragen, die die Zukunft unserer Institutionen und unserer Freiheiten betreffen“, dem Volk in einem Referendum vorgelegt werden können. Das bislang äußerst schwache Parlament soll mehr Kompetenzen erhalten; so soll es auf seine eigene Tagesordnung Einfluß nehmen können. Jeder Bürger soll das Recht erhalten, den Verfassungsrat anzurufen, damit dieser die Verfassungsmäßigkeit eines neuen Gesetzes prüft. Die Unabhängigkeit der Justiz soll vergrößert werden. Minister sollen nicht länger Immunität genießen; lediglich bei Hochverrat soll eine politische Justiz einberufen werden. Die Unzulänglichkeit der bisherigen Regel hat sich vor allem am Skandal um das HIV-verseuchte Blut gezeigt, wo die verantwortlichen Minister bislang nicht gerichtlich belangt werden konnten.

Gespannt hatte Frankreich auf den Vorschlag zur Amtszeit des Präsidenten gewartet, deren lange Dauer durch Mitterrand selbst in Verruf gekommen ist: durch seine Wiederwahl kann er das Land 14 Jahre (bis 1995) regieren, was viele Franzosen als lähmend empfinden. Mitterrands Kritiker sind daher enttäuscht, daß er sich nun für ein Mandat von mindestens sechs Jahren ausgesprochen, die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit aber nicht abgelehnt hat. Ein Expertenkomitee soll nun bis zum 15. Februar zu allen Vorschlägen Stellung nehmen – also mitten in der Kampagne für die Parlamentswahlen vom März. Im April will Mitterrand sein Projekt dem neuen Parlament vorlegen.

Es ist vor allem dieser Terminplan, der die Opposition empört. „Wahlkampfmanöver“, lautet der häufigste Vorwurf. Die Vorschläge kämen zu spät, sie seien zu schwammig, eine solche Reform sollte nicht von einem Präsidenten ausgehen, dessen Mandat sich dem Ende zuneigt. Der Politologe Olivier Duhamel beklagt „die französische Verrücktheit“: „Fast alle sind in den meisten Punkten einer Meinung. Doch da die Debatte vom Kampf um die Regierungsmacht verschluckt wird, werden sich die verschiedenen Parteien selbst dann nicht einigen, wenn sie einer Meinung sind.“ Die bürgerliche Oppositionspartei RPR erklärte bereits, sie lehne eine Mitarbeit im Expertenkomitee ab.

Im April wird in Frankreich voraussichtlich die Rechte regieren. Da eine Aufwertung des Parlaments ihren Spielraum einengen wird, dürfte die Debatte über diese Reform äußerst konfliktreich werden. Daher weiß heute niemand, wer die Reform zu Ende führen wird, wann das der Fall sein wird, wie sie letztendlich aussehen wird. Bettina Kaps