Somalia vor dem US-„Wüstensturm“

Dieser Tage soll der UNO-Sicherheitsrat eine massive US-Truppenentsendung nach Somalia beschließen/ Hilfsarbeiter vor Ort fordern konkreten Beitrag zum Wiederaufbau  ■ Von Dominic Johnson

Zumindest die weihnachtlichen Fernsehbilder sind gesichert: breitschultrige US-Soldaten, die Schokolade oder ähnliches an aufgepäppelte somalische Kinder verteilen. Denn vermutlich heute wird der Weltsicherheitsrat die Entsendung einer bis zu 30.000 Mann starken Interventionsmacht nach Somalia beschließen, die hauptsächlich aus US-Truppen bestehen wird. Unmittelbar nach einem solchen Beschluß sollen zunächst 1.800 US-Soldaten in der somalischen Hauptstadt Mogadischu landen, um dort den Hafen und Flughafen unter ihre Kontrolle zu bringen. Gegenwärtig wartet diese Vorausstreitmacht auf drei Kriegsschiffen vor der somalischen Küste.

Die Schiffe wurden aus dem Persischen Golf abkommandiert, nachdem die USA der UNO letzte Woche ein formelles Truppenentsendungsangebot unterbreiteten. Nicht nur dieses Detail weckt Erinnerungen an die „Operation Wüstensturm“, dem Golfkrieg gegen den Irak 1991. Die Somalia-Interventionstruppe soll nach US-Vorstellung derjenigen des Golfkrieges entsprechen: eine multinationale Streitmacht unter US-Kommando mit UNO-Mandat. Der dem Sicherheitsrat vorliegende, von Washington eingebrachte Resolutionsentwurf sieht, wie die Golfkriegsresolution vom 29. November 1990, die Autorisierung „aller notwendigen Mittel“ vor, „um so bald wie möglich ein sicheres Umfeld für die humanitären Hilfsoperationen herzustellen“.

Zeitgleich mit den UNO-Beratungen in New York haben Sondierungen mit den somalischen Fraktionen begonnen. Der ehemalige US-Botschafter in Somalia, Robert Oakley, reiste am Montag nach Addis Abeba, um ab heute einer zweitägigen UNO-Konferenz über die Koordinierung der Somalia-Hilfe beizuwohnen. Vor allem diese Beratungen könnten über Gelingen oder Fehlschlagen der Intervention entscheiden.

Denn was genau die US-Truppen in Somalia machen sollen, ist unklar. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pete Williams, sprach am Dienstag recht vage von zwei Interventionsphasen: „Man hat eine Art von Operation, mehr oder weniger eine Phase der Friedensschaffung, wo Truppen hineingehen und Ordnung schaffen und die Hilfe gewährleisten, und dann eine zweite Phase, eine Art von Friedenssicherungsoperation.“ Er schlug die Schaffung von Schutzzonen vor, in denen keine Waffen erlaubt sein würden.

UNO-Generalsekretär Butros Ghali war mit seiner Befürwortung der Intervention am Montag noch einen Schritt weiter gegangen und hatte die Entwaffnung der somalischen Kriegsparteien gefordert. Den Anstoß zum US-Eingreifwillen hatte sein jüngster Somalia-Bericht Anfang letzter Woche gegeben, in dem es hieß, 80 Prozent der somalischen Hungerhilfe würden geplündert. Beobachter vor Ort bezweifeln dies. Die Häfen von Mogadischu und Kismaju, so Hilfsarbeiter, seien zeitweilig blockiert, da sich verschiedene Gruppen um ihre Vormachtstellung und das Absahnen bei der Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen streiten.

Mitglieder von Hilfsorganisationen schlagen vor, die Interventionstruppe sollte die Kontrolle der Lagerstätten übernehmen und dann Lebensmitteltransporten Begleitschutz bieten. Unerläßlich wären überdies vertrauensbildende Maßnahmen wie Straßen- und Flugpistenbau oder Brunnenreparaturen, um dem somalischen Argwohn gegen auswärtige Einmischung entgegenzutreten.

Phil Johnson, der den US-Beitrag zur UNO-Hilfe in Somalia koordiniert, sagte, man habe das US- Militär gebeten, „Ingenieurkapazitäten für ein umfangreiches food- for-work-Programm“ mitzubringens: Somalis sollten im Gegenzug für Lebensmittel die vielen zerstörten Straßen im Binnenland wieder herrichten. Außerdem, so Johnson, müßten „den Somalis, die als Parasiten von den Hilfsprogrammen leben“, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden.

Erste Verlautbarungen aus Washington, die US-Soldaten könnten bis zur Amtsübergabe von Bush an Clinton am 20. Januar schon wieder draußen sein, erscheinen unter diesen Umständen unrealistisch. Ein US-Senatsmitarbeiter sagte der Washington Post: „Wir sind da, weil es keine Regierung gibt, und wir können nicht abziehen, bevor nicht eine Regierung amtiert.“ Schätzungen über die Dauer der US-Präsenz reichen inzwischen von zwei Monaten bis zu einem halben Jahr. Der belgische UNO-Botschafter Paul Noterdaeme meinte: „Vielleicht müssen wir so etwas wie den Obersten Nationalrat in Kambodscha zusammensetzen.“

Das erklärt auch, warum die wichtigsten somalischen Kriegsherren, General Aidid und Ali Mahdi, die US-Intervention als Möglichkeit zur Stärkung der eigenen Position begrüßt haben. Sie wissen, daß ihre Chance darin besteht, nicht etwa Widerstand gegen eine Intervention zu leisten, sondern im Gegenteil sich zu beeilen, Plünderungen und Gesetzlosigkeit in ihren Herrschaftsgebieten schnellstmöglich zu unterbinden, um gegenüber den USA und der UNO als handlungsfähige Ordnungsmacht zu erscheinen. Wer dabei am effektivsten agiert, so das Kalkül, geht als bevorzugter politischer Partner des Auslands aus der Intervention hervor, würde die traditionelle Hauptfunktion aller bisherigen somalischen Regierungen – die Eintreibung und Verteilung der auswärtigen Hilfe – beanspruchen können und hätte somit den Bürgerkrieg gewonnen. Dann könnte der Sieger in Ruhe darauf warten, daß ihn die UNO im Laufe des Jahres 1993 mit der Regierungsbildung beauftragt.