Gründerzeit für Spaniens Regionalisten

■ Nicht nur den regierenden Sozialisten, auch der konservativen Opposition macht der Boom der regionalen Parteien zu schaffen/ Widerstand gegen Madrid oder umworbener Mehrheitsbeschaffer der Großen?

Meist machen sie sich abends, nach der Arbeitszeit, auf den Weg. Klopfen in ganz Spanien an die Wohnungstüren, eine Broschüre in der Hand: „Guten Tag, wir sind von der Sozialistischen Partei und wollten uns mal unterhalten...“ „Tür-zu-Tür-Kampagne“ heißt diese unbezahlte Tätigkeit, zu der Spaniens Sozialistische Arbeiterpartei, die PSOE, ihre Mitglieder verdonnert hat, um die wachsende Zahl der abtrünnigen Wähler wieder zurückzuholen. Offizieller Anlaß ist zwar das 10jährige Jubiläum des sozialistischen Regierungsantritts, doch dient das Klinkenputzen vor allem der Vorbereitung der nächsten Parlamentswahlen, die frühestens im kommenden Frühjahr und spätestens im Herbst anstehen. Und Grund zur Beunruhigung gibt es, trotz gegensätzlicher öffentlicher Rhetorik: die Sozialistische Partei, die 1982 einen Erdrutschsieg von 48,3 Prozent der Wählerstimmen einheimste, ist nach Umfragen vom Oktober auf 36,8 Prozent abgesackt und damit nur noch fünf Prozent von ihrem rechten Widersacher, der „Volkspartei“ (PP), entfernt. Abnutzungserscheinungen nach so vielen Jahren ununterbrochener parlamentarischer Mehrheit, verstärkt durch ständige Korruptionsskandale und neuerdings durch miserable ökonomische Aussichten lassen für die nächsten Wahlen einen weiteren Rückgang befürchten.

Viele Alternativen für enttäuschte PSOE-Wähler gibt es freilich nicht. In Sachen neoliberaler Wirtschaftspolitik sind die Sozialisten routinierter als die Rechten, so daß sich die Abwanderung zur „Volkspartei“ in Grenzen halten wird. Die Linksunion „Izquierda Unida“ (IU) hat zwar bei den letzten Wahlen zugelegt und wird wohl weiter wachsen, ohne deshalb jedoch ernsthaft zu einer linken Alternative zur PSOE zu werden – dafür ist sie zu zerstritten und zu einsam in ihren Positionen. Ein dauerhafter Pakt zwischen PSOE und IU ist zur Zeit nicht zu erwarten, geschweige denn eine kleine Koalition. Doch gerade in ihrem Feudum, Andalusien, ist den Sozialisten eine ernst zu nehmende Konkurrenz entstanden, die „Andalusische Partei“ (PA), die ihnen bei den letzten Gemeindewahlen 1991 die Stadt Sevilla entrissen hat. Ähnliche Probleme gibt es auf den Kanaren, wo gleich zwei regionalistische Parteien an Bedeutung gewinnen.

Aber auch der rechten „Volkspartei“ machen die Regionalparteien zu schaffen. Nicht nur bekommt sie in traditionell konservativen Regionen wie dem Baskenland und Katalonien keinen Fuß auf den Boden, weil die Konservativen dort in einer nationalistischen Partei organisiert sind. Auch in Aragon und Navarra sind regionalistische Parteien im Vormarsch und nagen an den konservativen Wählerstimmen. 189 Parteien sind allein im vergangenen Jahr neu gegründet worden, davon ein Großteil regional oder lokal. Ihr Hauptanliegen ist die Verteidigung der regionalen Interessen gegenüber der Madrider Zentralregierung, ihre politische Ausrichtung spiegelt in der Regel die in der jeweiligen Region vorherrschende Meinung wider.

„Wir haben es satt, ein Land zweiter Klasse zu sein“, schimpften etwa 10.000 überzeugte Aragonisten, die auf Aufforderung der „Partei des Aragon“ im vergangenen November in Madrid demonstrierten. Anstehende Wirtschaftskrisen, so suggerieren diese Parteien, sind mit möglichst wenig Einmischung von Madrid besser zu bewältigen. Darüber hinaus lassen sich in jeder Region Argumente finden, die die vermeintliche Hintanstellung just dieser Gegend zu belegen vorgeben. Die letzten Wahlgänge zeigen einen langsamen, aber scheinbar unaufhaltsamen Anstieg dieser Kleinparteien, die eine längst verloren geglaubte Unruhe in die spanische Parteienlandschaft bringen. Sie werden zwar noch nicht zu Alternativen, kommen jedoch als Minipartner für Bündnisse durchaus in Betracht.

Für die Sozialistische Partei erwiesen sich die Baskische Nationalistische Partei PNV und die katalanische „Convergencia i Unio“ bislang als Segen. Wo die PSOE ihrer absoluten parlamentarischen Mehrheit seit den letzten Wahlen beraubt ist, zeigten sich die konservativen Nationalisten als sichere Mehrheitsbeschaffer – gegen Konzessionen in Sachen Autonomie, versteht sich. Die rechte „Volkspartei“ scheint allerdings entschlossen, diesem unnatürlichen Bündnis ein Ende zu bereiten, und bot erst kürzlich den nationalistischen Konservativen ein Regierungsbündnis an. Daß auch Rechte sich trauen können, Föderalismus zu fordern, machte in diesem Jahr der Gründer der „Volkspartei“, der einstige Informationsminister Francos und jetzige Landesvater der konservativen Region Galicien, Manuel Fraga, vor: er verlangte die Einführung einer einzigen Länderverwaltung (und damit die Abschaffung der Behörden der Staatsregierung in den Regionen). Ein revolutionärer Vorschlag, der von seiner eigenen Partei mit Mißtrauen aufgenommen wurde. Doch er könnte zukunftsweisend sein: in Galicien hat Fraga mit seinem Vorschlag dem linken „Bloque Galego“ fürs erste das Wasser abgegraben. Antje Bauer