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Keine Kraftprobe

Hardliner auf russischem Volksdeputiertenkongreß mit verbalen Attacken gegen Jelzin  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Den dritten Tag des Kongresses der russischen Volksdeputierten nutzten die Hardliner gestern zur Abrechnung mit der Regierung von Jegor Gaidar. Der solle entlassen werden, forderten sie vom russischen Präsidenten Jelzin. Daß die versammelten Gesetzgeber in Moskau seiner derzeitigen Reformpolitik mit äußersten Vorbehalten begegnen würden, stand von vornherein fest. Gegen den Willen Jelzins und seiner Regierung hatten sie das Zusammentreten des Deputiertenkongresses erzwungen.

Jelzin und Gaidar haben in ihren Rechenschaftsberichten allerdings einen eigenartigen Fehler begangen. Gaidar überrundete die Parlamentarier intellektuell, indem er ausführlich über ökonomische Modelle sprach und sie mit konkreten Beispielen zu überzeugen suchte. Jelzin gab sich als der strenge Vater, der bereit ist, Zugeständnisse zu machen, wenn man denn seinem Worte folgt. Das ist der alte Mechanismus von Zuckerbrot und Peitsche. Ob er heute noch greift, ist fraglich. Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, ein paar harmonisierende Worte zu finden.

Machtzuwachs für Jelzin

Jelzins am Montag vorgestellter Fünf-Punkte-Plan macht das mehr als deutlich. Demnach soll der Kongreß sich nur noch Anträgen und Veränderungen zur Verfassung widmen. Die allgemeine Gesetzgebung wird vom Obersten Sowjet, dem ständigen Parlament, erarbeitet. Die gestern von ihm vorgelegte Resolution zu diesem Plan geht hingegen noch weiter. Sollte der Oberste Sowjet zustimmen, erhielte der Präsident im Gegenzug quasi gesetzgebende Vollmachten in allen wirtschaftlichen Bereichen – von den Finanzen über das Bankwesen, in Fragen des Budgets und der Preispolitik bis hin zur Durchführung der Landreform und die Ernennung seines Kabinetts.

Welch gute Chance Jelzin besitzt, damit durchzukommen, zeigte das Auftreten des Vizepremiers Wladimir Schumeiko, der als Kompromißkandidat der Industriellenlobby und „Bürgerunion“ im Sommer ins Kabinett kam, mittlerweile aber zu den striktesten Verteidigern der Reformen gehört. „Wenn Gaidar nicht Premier ist“, sagte er, „dann gehöre ich der Regierung nicht mehr an. Jeder der den Premier auswechseln will, ist ein Gegner der Reformen.“ Schumeiko gab sich zuversichtlich, alles werde so bleiben wie bisher. Dann hätte man in Moskau mal wieder viel Lärm um nichts gemacht. Man wäre gleich besser ins Theater gegangen.

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