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Wand und BodenDie Künstlerfinte nimmt Struktur an

■ Streetart aus Leipzig, Thorsten Haake-Brandt, Janet Burchill und Jennifer McCamley, Dirty Windows in Dahlem

Daß der Auftrag an den Künstler direkt von der Gesellschaft erteilt wird, kommt schon noch vor. Die Stadt Leipzig hat Maler und Bildhauer eingeladen, um mit „Aktivitäten gegen eine erdrückende Kunstmüdigkeit der Stadtbevölkerung“ vorzugehen und ihre Bürger vor der geistigen Versteppung zu bewahren. Im vergangenen Jahr haben sich Sprayer aus Paris der Therapie am welkenden Ost-Citoyen angenommen. Motive aus der Zeit der Barrikadenkämpfe aufnehmend, wurde ein Netz aus Zeichen mit dem tristen Stadtbild verknüpft, politisch, kritisch und banal. Vom angstverzerrten Gesicht, das im „Consommation prison“ unter EDV-Streifen erdrückt zu werden droht, bis zum new wavigen Comic-Hund als Charakterdarsteller sind alle Erwartungen erfüllt worden. Die Wirklichkeit lebt sich natürlich viel wilder und gefährlicher, und gerade diese Qualität der sonst in Windeseile hingesprühten Lackbilder geht den rebellierenden Zeichen mit dem Zuspruch der öffentlichen Hand verloren. Die in Ruhe – weil erlaubt – gesprayten Farbschichten erreichen teilweise einen Grad der Sättigung, dem jedes Durchsetzungsvermögen fehlt. Graffiti für die Ewigkeit. Sie werden der angeknacksten Bürgerpsyche kaum helfen, sie treiben lediglich die Melancholie voran. Einer der Künstler hat es wenigstens aufrichtig formuliert: „Stadt der Geister, ich habe dir die Blicke geschenkt, die dir fehlten.“ In Berlin sind diese Blicke in der Kantine der Berliner Stadtbibliothek dokumentiert, etwas abseits.

Streetart in Leipzig, bis 31.12., Breite Straße 32-34, Mo 14-21 Uhr, Di-Fr 9-21 Uhr, Sa 9-16 Uhr

Das zeitgemäßere Berufsbild des Künstlers entwirft Thorsten Haake-Brandt in einer pfiffigen, raumgreifenden Installation. Es existiert gar nicht erst. Statt dessen hat er eine Unzahl von Stellvertretern gefunden, die das widrige Geschäft der Selbstdefinition für ihn erledigen. Haake-Brandt hat sich im Verlauf der letzten Jahre bei einigen hundert Firmen, Ämtern und Behörden auf eine Anstellung als Künstler mit großem Interesse, doch ohne weitere Eigenschaften beworben. Die ebenso zahlreichen Ablehnungen wurden dann in der Folge gerahmt und ausgestellt: das Bezirksamt Marzahn von Berlin hat für einen zusätzlichen „stellv. Amtsarzt, Kennzahl 4100/01/92“ im Moment leider keine Verwendung. Irgendwie nimmt die Künstlerfinte tatsächlich Struktur an. Zwischen hilflosen und mitleidigen Vertröstungen bewegen sich die Absagen um das abwesende Image des Produzenten in spe, ohne zu ahnen, wie tief die leichtfertigen Antwortschreiben das Arbeitsfeld der Ästhetik durchleuchten. Der Künstler bedankt sich für die ihm erwiesene unbewußte Referenz auf seine Weise. Vier Topberufe, Treckerfahrer, Wagenschieber, Rohrverleger und Landwirt, schmücken als Fotoportraits die Galerieräume. Der Wagenschieber besticht durch ein in wunderbarem Blau gehaltenes Ambiente. Daran erkennt man den Künstler.

Bis zum 19.12. im Schauraum Oranienstraße 24, 2.Hof, Do-So 16-20 Uhr

Janet Burchill und Jennifer McCamley versuchen die Probleme mit dem ästhetischen Feld von der Seite der Form her aufzuzäunen. Weniger in Bildern oder Objekten, sondern als strukturelles Modell wurde die Ausstellung im StudioIII des Künstlerhauses Bethanien um die mächtige Frage nach den grundsätzlichen Bedingungen von Wahrnehmung angesiedelt. Kunst ist in der Darstellung nichts als ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält. Im Sinne Kierkegaards berührt sie also schon Bereiche der menschlichen Erfahrung, wörtlich genommen. Probleme, wie sie bereits den griechischen Philosophen in der Beschäftigung mit Geometrie begegnet sind: das ideale Dreieck widerspricht dem der Anschauung. Und das weiße Quadrat von Malewitsch? Sehr konsequent führen die beiden australischen Künstlerinnen daher nichts anderes als unterschiedlich proportionale Anordnungen vor: Drei Bildschirme mit Videos von ausgebleichten und rosa eingefärbten Sonnenblumen, die sich allmählich öffnen; ein Stahlschrank, der mit rosa Hölzern vernagelt als Behältnis nur imaginär bleibt; eine Serie von Drucken in Schwarz und subtil nuancierten Grauwerten, die abstrakte Teilmengen nach dem Prinzip der Petruschkapuppen verzahnt. Die Formen treten in Erscheinung, die Farbgebung bleibt der Imagination des Betrachters überlassen. Er entscheidet, ob es noch keine oder die einzig möglichen Bilder sind. Für Burchill und McCamley ist jede weitere Annäherung „unpresentable“.

Bis zum 13.12., Mariannenplatz 2, Di-So 14-19 Uhr

Auf der Busfahrt zur Stiftung Starke lächelt einem die neue Körperikone Naomi Campbell in elf Varianten preisgünstiger Damenunterwäsche entgegen. Die Ausstellung Gift – Zwei Jahre Dirty Windows Gallery kann mit dem für diese Saison begehrten Werbeobjekt nur bedingt konkurrieren. Zum Jubiläum der Initiative, die im U-Bahnhof Kurfüstendamm Schaufensterauslagen im monatlichen Wechsel mit Kleinkunst bestückt, hat eine Vielzahl der Beteiligten dem lustigen und minoritären Reigen ein museales Gegenstück zur Seite gestellt. Petra Seelenmeyer darf nun auf vier Quadratmetern Wandfläche gestische Malerei abfeiern, die man sonst selbst in den Glasfronten der Deutschen Bank wohlwollend übersieht. Jede halbwegs geschäftstüchtige Galerie hätte sich jedenfalls mit einer solchen Accrochage zufriedengeben können. Die gewitzteren Exponate gehen jedoch über den Sammlerstandard hinaus. Renata Stih versteckt riskante Immobilien wie Kohlekraftwerk, Bunker oder Müllverbrennungsanlage in kleinen Kästen hinter Milchglas und hält dabei die Spannung zwischen flüchtiger Aufmerksamkeit und beiläufiger Irritation noch im zielgerichteten Kunstraum aufrecht. Sogar die Theorie findet im installatierten Chaos zumindest ihren Platz, wenn schon nicht auf ihren Thron. Ein Text von Thomas Wulffen liest sich gewohnt verrätselt: „Auf was bezieht sich die Kritik, wenn sie selbst das Werk ist?“ Im Seminar hätte es wahrscheinlich geheißen: „Können Sie die Frage bitte wiederholen?“ Die endgültige Besetzung der Schaufensternische als Bastion zwischen dem ausgesperrten Betrachter und der eingesperrten Kunst ist von der Botschaft e.V. gefunden worden. Im Ausstellungsraum hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Alle Berliner sind sich einig: Jetzt Zeichen setzen“, von draußen sieht man dekorative Weihnachtsbeleuchtung.

Bis zum 18.12, Königsallee 30-32, Do-So 15-19 Uhr, Eintrittspreis: 5DM. Harald Fricke

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