■ Für ein verstärktes UNO-Engagement in Somalia
: Jenseits vom Sterben

Somalia gleicht einem rasenden Auto ohne Chauffeur. Nicht Vernunft, sondern Gewalt regelt die gesellschaftlichen Beziehungen. Das Gewehr bestimmt, wer gibt und wer nimmt. Eine Kalaschnikow ist billiger als ein Kanister Wasser. Wie kam es zu diesem Bürgerkrieg?

Die Sucht des Präsidenten Siad Barre (1969 bis 1991), alles von oben zu dirigieren; die massiven Eingriffe des Staates in alle Wirtschaftsbereiche; die Verschwendungssucht der Entscheidungsträger; der kostspielige Ogaden-Krieg gegen Äthiopien; unsinnige, prestigegebundene Programme wie die Umsiedlung von Nomaden und ihre Umschulung zu Fischern; unkontrollierte Inflation und kontraproduktive Preispolitik – all dies legte den Sprengsatz für die Zeitbombe, die schließlich Siad Barre Haus und Hof kostete. Die Euphorie und die Freude nach Barres Flucht Ende Januar 1991 war von kurzer Dauer. Wie ein Fluch schlug der Bürgerkrieg in einen Bruderkrieg um. Waren gestern noch alle gegen einen, stehen nun alle gegen alle. Die Macht zu erobern, ist eine Sache – sie zu behalten eine ganz andere.

Der Zersplitterung des siegreichen United Somali Congress (USC) nach Barres Flucht lag nicht nur organisatorische Unfähigkeit zugrunde, sondern auch die Tatsache, daß das Einvernehmen unter ihren Führern einzig auf den Sturz Siad Barres beschränkt war. Sobald dieses Korsett wegfiel, fegte der Zerfall wie ein Lauffeuer durch alle Reihen. Die Trennlinien zwischen den Führern des USC verliefen nun nicht mehr zwischen Demokratie und Diktatur, sondern es ging einzig darum, wer die Führung innehatte. Führung bedeutete, die Ansprüche von Kontrahenten auf Macht und Quellen des Reichtums zurückzudrängen. Verteilungskämpfe und Machtpolitik zur Durchsetzung ökonomischer Interessen stehen so im Rahmen eines formal unabhängigen Staates. Die Auseinandersetzungen in Somalia ergeben sich also nicht, wie manche Ethnologen meinen, aus den Gegensätzen in Kultur und Wertsystemen, sondern aus dem Umstand, daß einzelne Gruppen oder Individuen entschieden haben, sie könnten durch Konfrontation etwas erreichen.

Nach der Machteroberung waren die Interessengegensätze innerhalb der USC-Führung nicht mehr im Zaum zu halten. Seitdem tobt ein Machtkampf, der den USC in verfeindete Flügel teilt. Es ist ein bewährtes Prinzip unter solchen Umständen, daß auch andere Stämme als Verbündete mit einbezogen werden.

Die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen dem selbsternannten Präsidenten Ali Mahdi und seinem Kontrahenten General Aidid ist von diesem Hintergrund her zu verstehen. Zermürbende Kraftproben zwischen den Anhängern der beiden führten zur weiteren Zersplitterung, so daß das Bild heute überwiegend vom Bandenunwesen geprägt ist. Gerade der Wildwuchs der Räuberbanden, deren Hintermänner nicht feststellbar sind, kompliziert die Lage weiter.

Das Clan-Wesen begünstigt dies, weil die Sippe in Krisenzeiten als Schlupfwinkel dient, der mehr als Schutz gewährt. Der Clan ist das am leichtesten politisch manipulierbare Gebilde. Als Folge des Bürgerkrieges ist Somalia zu einem Flickenteppich aus Clan-Siedlungsgebieten geworden, wo Räuberbanden, Clanfürsten und lokale Allianzen dominieren. Dadurch gerät das Land in den größten Tumult seiner Geschichte.

Ein bedrohliches, aber bisher nicht genug beachtetes Element in diesem Konflikt ist die Einmischung seitens religiös-fundamentalistischer Kräfte aus dem Ausland. Einige Demagogen in Somalia, besonders aus den Reihen der politischen Versager, erstreben eine islamische Demokratie und fordern einen Gottesstaat. Damit verschlechtern sich auch die Chancen für eine eventuelle Verständigung, weil die Gräben zwischen den Somalis weiter vertieft werden.

Die allgemeine Orientierungslosigkeit, die Schockwirkung des Krieges, das Gefühl des Ausgeliefertseins und das Mißtrauen gegen jede Obrigkeit erschweren die Bedingungen für die Herstellung einer Ordnung aus eigener Kraft. Mit Hilfe der Weltgemeinschaft sollte daher eine Phase relativer Stabilität eingeleitet werden. Ruhe und Sicherheit sind die ersten Voraussetzungen für eine Rückbesinnung auf die allgemeinen Interessen der somalischen Bevölkerung und möglicherweise für Annäherung und Verständigung. Dies könnte allmählich zur Herausbildung von politischen Gruppierungen führen, die sich nicht mit dem Mittel der Gewalt profilieren müssen.

Die UNO sollte deshalb in Somalia einen unkonventionellen Weg einschlagen, der über die militärischen Aufgaben der Sicherung von Lebensmitteltransporten hinausgeht. Die Ressourcen der UNO sollten sich nicht nur auf Polizeiaktionen beschränken. Die Beendigung eines Krieges bedeutet noch lange nicht Frieden und Sicherheit. Wo Hunger und Massenelend herrschen, sind Raub und Mord nicht wegzudenken. Deshalb muß das UN-Engagement in Somalia auch zivile Komponenten beinhalten, die eine Entschärfung des ökonomischen Zündstoffs und eine Wiederregierbarkeit ermöglichen.

Zur Bewältigung dieser umfassenden Aufgaben sollte Somalia eine UNO-Interimsverwaltung erhalten. Das bedeutet, daß die UNO faktisch die Regierungsgewalt zu übernehmen hat. Die UNO-Interimsverwaltung sollte durch einen Nationalrat, bestehend aus Vertretern aller Gruppen, ergänzt werden. Dieser Rat sollte zunächst mit Beratungsfunktionen beauftragt werden. Überlegenswert ist auch, daß er die Repräsentation Somalias in der UNO übernimmt.

Die Hauptaufgaben der UNO-Interimsverwaltung wären Demobilisierung aller paramilitärischen Einheiten und Entwaffnung aller Banden und Einzelpersonen; Vernichtung aller Waffen und Kriegsgeräte; Schaffung von Schutzorganen zur Durchsetzung von Recht und Ordnung. Erwägenswert wäre in diesem Zusammenhang die Einbeziehung der im benachbarten Dschibuti stationierten französischen Fremdenlegion.

Je nach Lage der Dinge hat die UNO dann die Vorbereitung für freie Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung sowie Maßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft und Repatriierung der Flüchtlinge zu treffen. Eine wichtige Stütze hierbei wären die gesammelten Erfahrungen während der UNO-Treuhandschaft in Somalia zwischen 1950 und 1960.

Von manchen wird ein solches Engagement als voreilig angesehen. Sie meinen, daß die Lösung in der Hand der Somalis selbst liegt und an deren Vernunft zu appellieren sei. Da jedoch in allen Interessensgruppen die Hardliner tonangebend sind, die eine Preisgabe der eigenen Interessen befürchten, verschlechtern sich die Chancen auf Flexibilität. Auch die angekündigte Versöhnungskonferenz gibt da wenig Anlaß zu Optimismus. Alle möchten Frieden, aber jeder will ihn nur zu seinen Bedingungen. Abdurrahman Aden

Der Autor ist ehemaliger Mitarbeiter der somalischen Botschaft.