Abtreibungsgegner nicht befangen

■ Das Bundesverfassungsgericht erklärt seine Richter für unbefangen / Frauen protestieren in Köln / SPD-Schatzmeisterin: Entscheidung gegen Fristenregelung bedeutet Vertrauensverlust in Demokratie

Berlin (taz/AP) – Der Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde (SPD), der ab Dienstag in Karlsruhe im Streit um das neue Abtreibungsrecht mitentscheiden wird, ist nicht befangen. Das entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVG), dem Böckenförde angehört, einstimmig. In dem Beschluß heißt es, weder Böckenfördes frühere Mitgliedschaft in der„Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ (JVL), noch die Bestellung des Abtreibungsgegners Rolf Stürner, ebenfalls Mitglied der JVL, begründeten eine Besorgnis der Befangenheit ausreichend. Der JuristInnen-Verein will durch Einflußnahme seiner teils prominenten Mitglieder Politik und Gesellschaft auf ein weitgehendes Abtreibungsverbot einschwören.

Der 62jährige Böckenförde war erst 1990 aus der JVL ausgetreten, als beim BVG die Klage der bayerischen Staatsregierung gegen die geltende Indikationsregelung anhängig wurde. Da in sog. abstrakten Normenkontrollverfahren – zu denen die anstehende Entscheidung über den Paragraphen 218 zählt – keine Befangenheitsanträge gegen beteiligte RichterInnen zulässig sind, hatte Böckenförde selbst gebeten, seine Unbefangenheit zu überprüfen.

27 prominente PolitikerInnen und andere Frauen hatten diese Woche in einem offenen Brief den stellvertretenden Senatsvorsitzenden Böckenförde und seinen Kollegen Klaus Winter aufgefordert, wegen Befangenheit von sich aus auf eine Teilnahme an der Abtreibungs-Entscheidung zu verzichten. Der 56jährige Winter, der im 218-Verfahren Berichterstatter des Senats sein wird, hatte den Lebensschützer Stürner als Gutachter vorgeschlagen, ohne auf dessen JVL-Mitgliedschaft hinzuweisen. Stürner fordert, Abtreibungen grundsätzlich als „rechtswidrig“ anzusehen und durch Eingriffe im sozialen Bereich extrem zu erschweren. So sollten die Krankenkassenfinanzierung und Lohnfortzahlung gestrichen werden. Bei verpfuschten Eingriffen sollten die ÄrztInnen gegenüber den Betroffenen nicht schadenersatzpflichtig und Abtreibungen nur noch in Privatkliniken möglich sein.

Politikerinnen, Gewerkschafterinnen und Verbandsvertreterinnen appellierten gestern an das BVG, die Klage gegen den neuen Paragraphen 218 abzulehnen. Im „Alten Wartesaal“ des Kölner Hauptbahnhofs wollen sie am Sonntag mittag mit einer Veranstaltung unter dem Motto „Fünf vor zwölf“ gegen die Zusammensetzung des Zweiten BVG-Senats protestieren. Die Junge Union kritisierte indessen die Befangenheitsvermutung der weiblichen Prominenz als „peinlich und verfehlt“. „Frau Schwaetzer und Co.“ würden die Richter unter unzulässigen Druck setzen und hätten „Grundprinzipien unseres Rechtsstaates, nämlich die Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz, nicht begriffen“. Die SPD- Schatzmeisterin Wettig-Danielmeyer sagte, sie habe erwartet, daß die Karlsruher Richter ihren Kollegen Böckenförde für nicht befangen erklären würden. Gleichwohl sei die Berufung des Gutachters Stürner „ein Affront gegen die Frauen“. Lehne das BVG die Fristenregelung ab, bedeute dies einen weiteren Vertrauensverlust in die Demokratie, und „tiefste Resignation“ in der ganzen Bundesrepublik. bm