Die schwarzen Wellen Galiciens

Hundert Kilometer spanischer Küste sind durch das Tankerunglück vom letzten Donnerstag ölverseucht/ Fischer und Muschelsucher werden arbeitslos/ La Coruña geht zum Alltag über  ■ Aus La Coruña Antje Bauer

Dies hier war ein richtiger Vorzeigestrand“, sagt Mito. „Man konnte jedes Steinchen erkennen, so klar war das Wasser.“ Doch am Strand von Canaval ist kein Wasser mehr zu sehen. Eine tiefschwarze Flüssigkeit schlägt ölig- glatt gegen die Felsen. Nach jeder Welle bleibt ein neuer, schwarzer Film auf dem Stein zurück, der inzwischen die Farbe dieses unheimlichen Meeres angenommen hat. Möven mit braunverdrecktem Gefieder ziehen landeinwärts, es stinkt durchdringend nach Benzin. Am anderen Ende der großen Bucht von La Coruña zeigt eine schwarze Rauchfahne, daß der Brand auf dem am Donnerstag morgen zerborstenen Öltanker „Aegean Sea“ noch immer nicht ganz gelöscht ist. Der sozialistische Bürgermeister des eleganten Badeorts, Francisco Vazquez, hat schon am Freitag vormittag Entwarnung gegeben: Die Gefahr sei vorbei, hatte er versichert, die nahe an der Unglücksstelle Wohnenden könnten unbesorgt in ihre Heime zurückkehren. Der Rauch sei ohnehin nicht giftig. Mito bestreitet das: Die schwarzen Schwaden beinhalten Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und andere hochschädliche Stoffe, versichert er und beobachtet beunruhigt, wie die Rauchfahne mit dem Wind mal direkt auf die Stadt, mal nahe an ihr vorbeizieht und manchmal, wie Kains Opfer, direkt gen Himmel strebt.

Just vor dem Herkulesturm, einem 2.000 Jahre alten römischen Leuchtturm, heute Wahrzeichen der Stadt, ist der Tanker leckgeschlagen, etwa 100 Meter von den Rändern der Großstadt entfernt. „Wenn der Wind nicht an der Stadt vorbeigeweht wäre, hätte hier ein Massensterben eingesetzt. Aus La Coruña läßt sich nur schwer flüchten“, versichert Mito düster.

Vor 16 Jahren sah es hier schon einmal so aus wie jetzt: Damals war der spanische Tanker Urquiola bei der Einfahrt in den Hafen von La Coruña leckgeschlagen. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis die gröbsten Schäden der Ölpest beseitigt waren. Und erst vor kurzem hat sich die Küstenregion halbwegs wieder regeneriert. Mito, eigentlich Guillermo Fernandez, hat vor neun Jahren in seinem Dorf Oleiros — zehn Minuten Fahrt von der Stadt entfernt — die Umweltschutzgruppe „Biotopo“ gegründet. Mit einer Gruppe Jugendlicher hatten sie auf einer wenige Quadratmeter großen Insel vor ihrer kleinen Bucht dafür gesorgt, daß sich wieder Kormorane ansiedelten. Hatten Wache gehalten, damit keine Unbefugten die Nester störten. Jetzt staken die Jugendlichen von „Biotopo“, weiße Atemmasken vor der Nase, durch den Schlamm und suchen ölverpestete Vögel. Einige Möven, Kormorane und zwei Trottellummen, vom Aussterben bedrohte Vögel, haben sie bereits gefunden. „Die stärksten Arten, wie die Möven und die Algen, erholen sich schnell wieder“, sagt Mito niedergeschlagen. „Aber viele kleinere Tierarten und unzählige Mikroorganismen, die kommen nie wieder, das ist vorbei.“

Zur Erleichterung der Bewohner von La Coruña, aber zum Schrecken der Fischer und Muschelsammler, trieb das Öl nach dem Unglück stadtauswärts, in Richtung Südosten. Die brennenden Öllachen auf dem Meer, die am Tag des Unglücks an Szenen aus Apokalypsefilmen erinnerten, sind inzwischen erloschen. Doch der Ölteppich hat sich unaufhörlich vergrößert. 50 Quadratkilometer betrug die Ausdehnung der Öllache am Wochenende, und sie bewegt sich immer weiter östlich, wird vom Wind in die tief ins Land einschneidenden Buchten getrieben. In El Ferrol, einer etwa 30 Kilometer östlich von La Coruña entfernten Küstenstadt, geht in diesen Tagen schwarzer, schlüpfriger Regen nieder. Und in den Rias, den Buchten von Ares, Betanzos und El Ferrol, wurden die ersten Ausläufer des Ölteppichs gesichtet.

Das Unglück nähert sich langsam. In der kleinen, schwarzverölten Bucht von Canaval sind die Auswirkungen des Tankerunglücks am deutlichsten. Nur ein paar Kilometer östlich, im Dorf Lorbe, sieht das Meer noch wie Meer aus. Einzig ein dünner, schillernder Film auf der Wasseroberfläche deutet an, daß etwas geschehen ist. Dutzende Fischerboote liegen im kleinen Hafen von Lorbe vor Anker. Die Fischer stehen an der Mole und schauen aufs Meer. „Ich bin heute morgen kurz rausgefahren“, berichtet der Fischer Andres Fraga, „aber ich habe gleich gesehen, daß nichts zu holen ist.“ Inzwischen hat die Xunta, die Landesregierung von Galicien, ohnehin für die Zone ein Fischfangverbot bis zum 15.Dezember verhängt. „Was veranlaßt sie zu der Vermutung, daß ab 16.Dezember das Wasser wieder sauber ist“, wurde die Sprecherin der Xunta gefragt. „Nichts“, hatte die Antwort gelautet. „Aber wir wollen diese Verbote in kleinen Rationen aussprechen.“ Die Fischer in Lorbe machen sich keine Illusionen. „Wir können nur abwarten, was passiert“, meint Andres skeptisch, „und dann möchte ich gerne mal wissen, wovon ich in der Zwischenzeit meine Familie ernähren soll. Die Geschädigten vom letzten Unglück vor 16 Jahren haben jetzt erst ihre Entschädigung erhalten.“

Nur wenige Dutzend Meter von der Mole entfernt liegen die Muschelplantagen der kleinen Firma Demarlosa. Paletten stehen im Meer, von denen Schnüre ins Wasser hängen, an denen die Muscheln wachsen. Die Xunta hat ausnahmsweise Genehmigung erteilt, auch an Feiertagen Muscheln zu ernten, ehe sie von der Ölpest erstickt werden. Doch die Stimmung in der Demarlosa ist niedergeschlagen. „Ein Großteil der Ernte ist futsch“, klagt Maria Dolores, Leitungsmitglied der Firma. „Und das kurz vor dem Weihnachtsgeschäft.“

Die Fischer an der Mole beobachten inzwischen skeptisch die Manöver von drei Rettungsbooten, die mit hochmodernem Gerät versuchen, ein dicke Öllache im Meer aufzusaugen. „Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein“, lauten die einmütigen Kommentare der Männer. „Stattdessen hätten sie lieber versuchen sollen, die ganze Küste mit Schwimmern vor der Ölpest zu schützen.“ Die galicischen Behörden müssen inzwischen zugeben, daß ihre Versuche, den Küstenbereich zu schützen, weitgehend erfolglos geblieben sind. Die Barrieren, schwimmende Schläuche oder Ketten aus Schwimmern, die das Vordringen des Öls hindern sollten, wurden durch die hohen Wellen zerrissen und überspült. 100 Kilometer Küste sind nach Schätzungen des spanischen Greenpeace-Mitglieds Juan Lopez bereits von der Verseuchung betroffen, 100 Kilometer unberührter Küste, die noch nicht von Tourismus und Industrie verschandelt waren und wo Meeresfrüchte gedeihen, die noch nicht einmal deutschen Feinschmeckern bekannt sind (oder haben Sie schon Percebes genossen?).

Fast doppelt soviel Öl wie beim Tankerunglück der Exxon Valdez in Alaska hat sich am Donnerstag vor der Stadt La Coruña in schwarzen Rauch aufgelöst oder ist ins Meer geflossen. Doch 24 Stunden danach war die Normalität wieder in die Stadt eingekehrt. Zwar stinkt es überall nach Benzin, und die Polizei hat die Autofahrer aufgefordert, langsam zu fahren, da die Straßen durch den abregnenden Ölfilm glitschig seien. Doch die Läden sind alle geöffnet, man ist, wie immer, zur Arbeit gegangen und hat dazu, wie immer, das eigene Auto benutzt, Dreck in der Luft hin oder her. Es gibt keinen zwingenden Grund, sich zu beunruhigen: Zwar sind die Wellen, die am Sandstrand Riazor anrollen, braungefärbt und der Sand mit schwarzen Schlieren überzogen, aber „durch den vielen Wind und die Unwetter jetzt im Winter ist das bald wieder weg“, vertraut ein Taxifahrer. Die Reste des havarierten Tankers liegen hinter einem Hügel am Stadtrand verborgen, nur die Rauchfahne ist von manchen Stellen der Stadt aus sichtbar. In der Nähe des Herkulesturms, der auf dem Hügel steht und die Sicht auf die Überreste der Aegean Sea versperrt, stehen ein paar neugierige Rentner unter Regenschirmen und kommentieren das Geschehen. „Die machen das immer: Ankern irgendwo hier vor der Küste, bis sie entladen können, um die Hafengebühren zu sparen“. „Und dann hat der Kapitän hier offenbar keinen Lotsen angefordert, als er den Hafen ansteuerte, oder zu spät, und dann wars vorbei. Das müßte besser kontrolliert werden, daß hier die Regeln eingehalten werden.“

Die Debatte, wer für das Unglück verantwortlich ist, wird auch vor Gericht geführt. Am Freitag sagte der griechische Kapitän des Tankers, der noch am Donnerstag festgenommen worden war, vor der Untersuchungsrichterin aus. „Es war das Unwetter“, erklärte er, „das das Schiff außer Kontrolle brachte“. Ob der Lotse rechtzeitig angefordert wurde, ist noch unklar. Daß das Schiff mit seinen zwanzig Jahren schon alt und baufällig war, bestreitet unterdessen die britische Versicherungsgesellschaft Lloyd's. Die Aegean Sea sei vor kurzem inspiziert worden und habe als sicheres Schiff gegolten, da sie mit einem doppelten Boden versehen gewesen sei.

Die Gewerkschaften ihrerseits schieben zumindest einen Teil der Schuld auf die mangelhaft ausgebildete griechische und philippinische Besatzung — ein alter Streit der Gewerkschaften mit den Schiffseignern, die am liebsten billige Matrosen anheuern. Wie hoch die Schäden des Unglücks sein werden, mag noch niemand schätzen, auch die Greenpeace-Gruppe nicht, die sich vor Ort umsieht. „Das einzige, was man jetzt sagen kann, ist, daß die Katastrophe riesige Ausmaße hat und daß, wenn das Öl erstmal im Wasser schwimmt, fast nichts dagegen zu machen ist“, erklärt Jeremy Leggett, Greenpeace-Experte für Ölverschmutzungen, der aus London eingeflogen ist. „Chemische Mittel zur Auflösung des Ölteppichs schaden der Flora und der Fauna noch mehr, und physische Barrieren nützen nur wenig. Das einzige Mittel gegen diese Katastrophen ist, sie zu verhindern.“

„Auch wenn es sich waghalsig anhört, sollte man vielleicht doch diskutieren, ob der Hafen von La Coruña nicht vielleicht zumindest teilweise aus der Stadt heraus verlegt werden sollte“, schreibt vorsichtig ein Professor für Humangeographie in der galicischen Tageszeitung La Voz de Galicia. Ebenso zurückhaltend äußert man sich im Landesministerium für Fischerei in Santiago. „Wir würden uns nicht gegen eine Verlegung des Hafens aussprechen“, formuliert die Pressesprecherin. „Aber wir fordern es auch nicht. Die Welt funktioniert durch Erdöl, und das gilt auch für Galicien.“ Und dann weist sie daraufhin, daß in dem verseuchten Gebiet schließlich nur ein geringer Teil der galicischen Meeresfrüchte gesammelt wird.

18.000 der ursprünglich 80.000 geladenen Tonnen Rohöl liegen, wie nun bekannt wurde, noch immer im havarierten Tanker. Die Ölpest breitet sich weiter aus. Dem spanischen Fernsehen war die Katastrophe vor der Küste am Sonntag nur noch einen kurzen Beitrag wert. „Wir müssen den verrußten Herkulesturm wieder säubern und nach vorne schauen“, fordert der Bürgermeister der Stadt, Francisco Vazquez. Ob die Küste Zeit hat, sich halbwegs zu erholen, ehe das nächste Unglück geschieht?