Sieben Richter und eine Richterin

■ Wer über Selbstbestimmungsrecht der Frauen entscheidet

Berlin (taz) – Platzkarten für BesucherInnen sind schon lange vergeben, für die Presse sind knapp 40 Sitzgelegenheiten auf der Tribüne vorgesehen. Ist diese voll, so wird sie in einen Raum verbannt, wo das Verhandlungsgeschehen per Lautsprecher übertragen wird. „Sie brauchen die acht Richter in ihren roten Roben ja nicht unbedingt zu sehen“, meint dazu ein Bediensteter des Bundesverfassungsgerichts. Unter diesen „acht Richtern“ des Zweiten Senats ist seit 1986 auch eine Frau. Im Gegensatz zum Ersten Senat, dessen Richter sich schon seit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts 1951 der Öffentlichkeit als „Gruppenbild mit (einer) Dame“ präsentieren, wurde Karin Graßhof (55) nach fünfunddreißig frauenlosen Jahren erste Richterin des konservativ-staatsfreundlichen Senats.

Die „praktizierende evangelische Christin“ (so die Welt) sammelte ihre Erfahrungen vorwiegend als Richterin am Oberlandesgericht Köln, wo sie Scheidungsangelegenheiten entschied. 1984 wurde Graßhof an den Bundesgerichtshof gerufen. Als Verfassungsrichterin schlug sie die SPD vor, dennoch wurde sie bei ihrer Wahl als „heimliche Konservative“ gehandelt. Und auch in Sachen §218 gilt die Mutter von zwei Söhnen – der Ehemann ist ebenfalls Jurist – (laut Emma) als „unsichere Kantonistin“.

Drei der sieben Herren in roten Roben sind schon im Vorfeld der jetzigen Verhandlung als Abtreibungsgegner ins Gerede gekommen. Zum einen Hans Hugo Klein (56): Der Göttinger Professor des öffentlichen Rechts saß ab 1972 elf Jahre lang für die CDU im Bundestag. Dort unterstützte er 1974 die Klage gegen die gerade vom Bundestag verabschiedete Fristenregelung, die ein Jahr später in Karlsruhe scheiterte. Der Evangele ist Vater von zwei Töchtern, seine Ehefrau leistet die Reproduktionsarbeit, als Hausfrau.

Ernst-Wolfgang Böckenförde (62) kam, von der SPD nominiert, 1983 nach Karlsruhe. Im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern des Zweiten Senats bekleidete er vor seiner Karlsruher Zeit kein Richteramt, war nie in Politik oder Verwaltung, sondern lehrte an verschiedenen Hochschulen öffentliches Recht. Als strenger Katholik sprach sich der Familienvater von drei Kindern – Ehefrau: Hausfrau – stets gegen Abtreibungen aus und unterstrich seine Haltung mit der Mitgliedschaft in der JVL. Aus der trat er pünktlich aus, als die Normenkontrollklage Bayerns gegen die soziale Indikation 1990 in Karlsruhe eintraf. Von zahlreichen PolitikerInnen aller Parteien sowie den Prozeßvertretern von Bundestagsmehrheit und SPD-regierten Ländern wurde Böckenförde aufgefordert, sich als befangen zu erklären und auf sein Richteramt in der Verhandlung zu verzichten.

Zum Rücktritt wurde auch Klaus Winter (56) aufgefordert. Nach einer Laufbahn als CDU- Kommunalpolitiker und Richter am Bundesgerichtshof stieß er 1989 zum Verfassungsgericht. Laut Spiegel gilt der strenggläubige Katholik als „schärfster Gegner der Fristenlösung“. Als Berichterstatter des Verfahrens war der Vater von zwei Töchtern zuständig für die Auswahl der Gutachter, beide bekannte Lebensschützer.

Auf den Winter folgte 1991 auch in Karlsruhe ein Sommer: Bertold Sommer (55). Der Wahl- Berliner und Vater zweier Kinder, der dem linken Flügel der SPD zugerechnet wird, unterschrieb vor elf Jahren einen Aufruf gegen die Nachrüstung – damals als Richter am Bundesverwaltungsgericht. Seine Ehefrau ist Sozialpädagogin. Persönlich fühlt er sich besonders für die neuen Bundesländer verantwortlich – ein Grund zur Annahme, daß sein Votum für die Fristenregelung ausfällt.

Das CSU-Mitglied Konrad Kruis (62) gibt dagegen keinen Anlaß zur Hoffnung. Seit 1960 arbeitete der überzeugte Katholik in der bayerischen Staatskanzlei, unter Franz Josef Strauß wurde er später Leiter der dortigen Rechtsabteilung. Seit 1987 ist der Vater dreier Kinder Verfassungsrichter.

„Parteilos, eher konservativ“ schätzte die FAZ 1987 Paul Kirchhof ein, als dieser per CDU-Votum nach Karlsruhe kam. Mit 49 Jahren ist der Vater vierer Kinder der jüngste (und mit 1,97 Meter der längste) Richter. Zuvor war er zwölf Jahre als Ordinarius an der Uni Münster, später in Heidelberg, im Nebenberuf auch Richter. Steuer- und Staatsrecht sind seine Spezialgebiete; wie er zum Abtreibungsrecht steht, ist ungewiß.

Als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Zweiten Senats ist Ernst Gottfried Mahrenholz (63) mittlerweile in seinem letzten Amtsjahr in Karlsruhe. Bevor er ans BVerfG kam, leitete er unter anderem fünf Jahre das NDR- Funkhaus in Hannover, 1974 wurde er für die SPD niedersächsischer Kultusminister. In elf Karlsruher Jahren gab der konfliktfreudige Herr zehn Sondervoten gegen die Meinung seiner Amtskollegen ab. So beispielsweise 1984 beim Nachrüstungsbeschluß oder ein Jahr später beim Kriegsdienstverweigerungsgesetz. Vor zwei Jahren sprach sich der Vater zweier Kinder, dessen Ehefrau als Bildhauerin arbeitet, für eine Abstimmung aller Deutschen über eine neue gesamtdeutsche Verfassung aus. Die konservative Presse nennt ihn gern den linken „Flügelmann“. Mahrenholz dazu: „Für mich sind Law and order so wichtig wie essen und trinken für die Menschen. Im Zweifelsfall bin ich für die Freiheit.“ Karin Flothmann