Mielkes Zigaretten und Jankas Wahrheit

Das Berliner Landgericht entschied im zweiten Anlauf: Walter Janka darf seine Version über Mielkes Rolle im Spanischen Bürgerkrieg wieder veröffentlichen  ■ Aus Berlin Thomas Schmid

Hat Erich Mielke 1937 in Spanien geraucht oder hat er nicht geraucht? Der Streit über diese und andere Fragen wurde gestern vor Gericht ausgetragen. Mielke selbst behauptet in einer eidesstattlichen Erklärung, „zeitlebens Nichtraucher“ gewesen zu sein. Walter Janka kontert ebenfalls eidesstattlich: „Mielke saß während des Verhörs hinter einem großen Schreibtisch und rauchte Zigaretten.“ Hat er also oder hat er nicht? Die Frage ist so belanglos nicht. Zumindest für Rechtsanwalt Jony Eisenberg nicht, der Mielkes Sache verteidigt. Denn wenn Mielke tatsächlich nie geraucht hat, kann er nicht der Mann sein, der Janka im Januar 1937 in Murcia verhört hat. Im Kern ging es vor dem Berliner Landsgericht um die Rolle Mielkes im Spanischen Bürgerkrieg.

Walter Janka, einst Offizier der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, behauptet, Mielke habe in Spanien für den NKWD gearbeitet. Daß der sowjetische Geheimdienst mitten im Krieg in den eigenen Reihen mutmaßliche oder wirkliche Abweichler von der Parteilinie liquidieren ließ, ist unumstritten.

Hat Mielke vielleicht – während sein späteres Opfer an der Front auf die Soldaten Francos schießen ließ – hinter der Front auf die eigenen Genossen schießen lassen? Walter Janka, KZ-Häftling unter Hitler und Stasi-Häftling unter Mielke, darf seine Memoiren wieder veröffentlichen. Gestern lehnte das Berliner Landgericht einen Antrag Mielkes ab, der es Janka verbieten wollte, seine Erfahrungen mit Mielke im Spanischen Bürgerkrieg zu publizieren.

Das Gericht hat sich schon einmal mit der Geschichte befaßt. Am 3. November ging bei ihm ein Antrag des „Ministers für Staatssicherheit im Ruhestand Erich Mielke“ – er ruht zur Zeit bekanntlich im Gefängnis Moabit – ein: Man möge Janka und Michael Naumann, Verlagschef von Rowohlt, gerichtlich verbieten, zu behaupten, Mielke habe in Murcia geraucht, er sei auf einer Zugfahrt nach Tardiente an der Aragon- Front im selben Coupé wie Janka gereist und habe für den NKWD gearbeitet. Noch am selben 3. November kam das Gericht dem Begehren Mielkes nach und erließ – „wegen Dringlichkeit“ – eine einstweilige Verfügung, die Janka bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von 500.000 Mark, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten androhte. Die betroffenen Antragsgegner wurden nicht einmal gehört.

Apropos Dringlichkeit: Jony Eisenberg behauptet in seinem schriftlichen Antrag, Mielke habe das Buch, das „im Jahre 1992 erschienen“ sei, erst im Oktober zur Kenntnis genommen. Hätte der Anwalt das Buch von vorne gelesen, wäre ihm aufgefallen, daß es schon seit April 1991, also seit über 1 1/2 Jahren im Verkauf ist. Im übrigen heißt es in der einstweiligen Verfügung vom 3. November kurzum: Mielke habe „wohl hinreichend glaubhaft gemacht, daß er in der fraglichen Zeit nicht für das NKWD tätig gewesen ist. Dies hat er jedenfalls an Eides statt versichert“.

Bei der mündlichen Verhandlung, bei der nun gestern auch die andere Seite – audeatur et altera pars – gehört wurde, zeigte sich schnell ein grundsätzlicher Gegensatz. Während Jony Eisenberg darum bemüht war, den Fall rein juristisch als Konflikt zwischen zwei Männern, die Gegenteiliges behaupten, zu behandeln, bemühte sich Janka verzweifelt, die politische und historische Dimension in die Diskussion mit einzubringen. So kam es, daß der junge Eisenberg mitunter in gütigem, väterlichen Ton Janka Rechtshilfeunterricht erteilte, während der alte Ex-Verleger vom Ostberliner „Aufbau-Verlag“, der zwei Dutzend historische Bücher auf seinem Tisch gestapelt hatte, dem Anwalt empfahl: „Lesen Sie doch einmal ein paar Bücher!“

Den letzten zwingenden logischen Beweis, daß Mielke in Spanien für den russischen Geheimdienst gearbeitet hat, legte Janka nicht auf den Tisch. Der dürfte im KGB-Archiv zu Moskau liegen. Doch was der Spanienkämpfer vorbrachte, legte eine Beteiligung Mielkes am schmutzigen Geschäft der NKWD in Spanien doch mehr als nur nahe. So ist die Zusammenarbeit Mielkes mit dem späteren Stasi-Chef Wilhelm Zaisser in Spanien mehrfach belegt, und Zaisser, der für die Bespitzelung der deutschen Internationalisten im Spanischen Bürgerkrieg zuständig war, bekannte sich öffentlich zu seiner 20jährigen Mitarbeit im sowjetischen Nachrichtendienst.

Anhand drückender Indizien bestand Eisenberg auf der Frage der Beweislast – und die liege nun mal bei Janka. Mielke könne ja den Negativbeweis schlecht antreten, zumal er ja keinen Zugriff auf sein persönliches Archiv habe. Aber wenn Janka bereit sei, in seinen Memoiren – per „Erratum“ – auch die Version Mielkes mitzuliefern, würde sein Mandant zufrieden sein. Auf diesen Kuhhandel mochten sich weder Janka noch sein Verleger einlassen. Mielke könne ja seine eigene Version anderswo publizieren und Eisenberg Mielkes „Erratum“ in der taz, deren Justitiar er nun einmal ist.

Janka forderte das Gericht eindringlich dazu auf, sich zu überlegen, ob ein Mielke, der sich im übrigen zu seiner Tätigkeit in Spanien im wesentlichen ausschweigt, mehr Glaubwürdigkeit besitze als jemand, der auch durch eben diesen Mielke in jahrelanger Einzelhaft unter den unmenschlichsten Zuständen saß.

Janka, der nach den Ereignissen in Ungarn bezichtigt wurde, den Sturz des DDR-Regimes organisiert zu haben, und in einem Schauprozeß zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, vermutet hinter Mielkes juristischem Schritt eine späte Rache. „In meinem Fall nämlich“, so trug er dem Gericht vor, „hat Mielke versagt und kein Geständnis erpressen können. ,Mit mir, Herr Mielke‘, so habe ich ihm damals im Beisein seiner Leutnants in der ersten Vernehmungsnach gesagt, ,werden Sie kein Glück haben. Das, was Ihnen bei Merker und anderen gelang, sie zu Agenten umfunktionieren zu können, obwohl keiner jemals mit Agenten zu tun hatte, das wird Ihnen mit mir nicht gelingen. Das verspreche ich Ihnen.‘“

Vergeblich versuchte Eisenberg das Gericht zu überzeugen, daß die Einlassung Jankas nicht zum Thema gehörte. Im übrigen habe ja Mielke darauf verzichtet, juristische Schritte gegen Janka wegen dessen Darstellung seiner Person in den 50er Jahren einzuleiten. Denn damals sei Janka ja, so der Anwalt, in einer Lage gewesen, die es ihm nun erschweren würden, seine Behauptungen zu beweisen. Auch die Drohung des Anwalts, er werde den Gerichtssal verlassen, wenn das so weitergehe, fruchtete nichts. Die Richter wollten Janka zuhören.

„Herr Richter“, so beendete Janka seine zeitweilig äußerst erregt vorgetragene Einlassung, die neun eng geschriebene Seiten füllt, „wenn Sie eine angebliche Persönlichkeitsverletzung von Herrn Mielke durch meine Darstellung seiner Rolle im Spanischen Bürgerkrieg gegeben sehen, die Sie bei Zuwiderhandlung mit einer Ordnungsstrafe von 500.000 DM belegen wollen, mit wieviel Milliarden müßten Sie dann das Leid all jener veranschlagen, deren Leben durch den ,Minister für Staatssicherheit im Ruhestand‘, Erich Mielke, zerstört worden ist?“