Anne Frank auf dem Betzenberg

Ajax Amsterdam gewinnt das UEFA-Cup-Rückspiel beim 1. FC Kaiserlautern mit 1:0 und steht nun im Viertelfinale  ■ Von Günther Rohrbacher-List

Kaiserslautern (taz) – Die Freundin meiner neun Jahre alten Tochter geht in die Anne-Frank- Realschule. Hannah wollte wissen, wer das war. Also gingen wir in die Stadt-Mediathek und liehen eine Kassette aus: „Das Tagebuch der Anne Frank“. Beim zweiten Hören und nach ergänzenden Erklärungen hatte sie begriffen. Sie war betroffen. Anne Frank war in ihrem Alter gewesen, als sie in ihrem Versteck zu überleben hoffte.

Der etwa 25jährige, der am Dienstag abend die Ajax-Spieler beim Gang von der Kabine zum Spielfeld in übler rassistischer Manier („schwarze Hollanddrecksäue“) anpöbelte und anspuckte, ohne daß ein daneben stehender Polizist auch nur eine Miene verzogen hätte, hat wahrscheinlich nie von Anne Frank gehört. Was nützen da lautstarke und großmaulige Bekenntnisse gegen Ausländerfeindlichkeit des Stadionsprechers Udo Scholz? Nichts.

Vier Tage vor dem UEFA-Cup- Rückspiel hatte sich Patric Seibel, ein Student aus Heidelberg, in einem Rheinpfalz-Leserbrief über die Reise nach Amsterdam in einem Kaiserslauterer Autobus beklagt. „Die ganze Fahrt über mußten wir uns rechtsradikale Parolen und Gesänge der anderen Insassen anhören, wie zum Beispiel ,Wir scheißen auf die Freiheit der Judenrepublik‘.“

Im Fritz-Walter-Stadion ging es genauso weiter. Gegen Edgar Davids und Marciano Vink: „Haut den Neger tot!“ Doch Ajax ließ sich vor 27.000 ZuschauerInnen, darunter 3.200 HolländerInnen, nicht beeindrucken. Dennis Bergkamp, der geniale Mittelfeldregisseur, löste sich immer wieder von Thomas Ritter, der in der 16. Minute beinahe ein Eigentor fabriziert hätte. Der 1.FCK rannte blind an, hatte durch Demir Hotic und Thomas Vogel auch Chancen, aber der Ex-Erfurter wurde zur tragischen Figur des Abends. Er hätte noch zwei Stunden weiter spielen können, ihm wäre kein Treffer geglückt. So kam Ajax immer besser ins Spiel. Einen plazierten Schuß von Vink schlug Ritter im letzten Moment von der Torlinie.

Als Bergkamp sich etwas unfein gegen Ritter durchgesetzt hatte (Schlag ins Gesicht) und Marc Overmars ins Spiel brachte, war der Ball per Flanke plötzlich bei Rob Alflen, der überlegt Michael Serr verlud. Damit war das Spiel nach 42 Minuten entschieden. Der 1.FCK versuchte zwar nach dem Wiederanpfiff zum schnellen Ausgleich zu kommen, doch Ajax konterte immer wieder und hätte bei mehr Konzentration zu weiteren Toren kommen müssen.

Nach einer Stunde Spielzeit feixten die Ajax-Fans: „Kaiserslautern – alles ist vorbei.“ Planlos, ideenlos das Spiel der Pfälzer, die schon wie gegen Eintracht Frankfurt mit dem spielerisch hoch überlegenen Gegner nicht zurechtkamen. In den letzten 25 Minuten hatten die Lauterer gerade noch eine Chance, doch Marins Schuß in der 90.Minute schlug ein Ajax- Abwehrspieler von der Linie. Umgekehrt hätte der FCK in der Schlußviertelstunde ein Debakel erleben können. Alflen, Pettersson, Vink und Bergkamp hatten das 0:2 und mehr auf dem Fuß. So bemängelte Ajax-Trainer Lois van Gaal hinterher die zu schwache Torausbeute seiner Spieler und zeigte sich überrascht (nicht nur er), daß sein Kollege Rainer Zobel Marcel Witeczek auf Marc Overmars angesetzt hatte.

Zobel, der zuletzt auf dem Betzenberg drei sieglose Spiele innerhalb von elf Tagen erlebte, beklagte das Fehlen der international erfahreneren Spieler Stefan Kuntz, Wolfgang Funkel und Tom Dooley, doch auch sie hätten an diesem Abend nichts bewirken können. Dem 1.FCK fehlen Typen, die zumindest den Eindruck vermitteln, sie könnten Berge versetzen. Bruno Labbadia war so einer, auch Trainer Karl-Heinz Feldkamp. Für dessen Nachfolger wird die Luft nach weiteren Niederlagen in der Bundesliga sehr dünn werden.

Diese Sorgen ist Louis van Gaal jetzt vorläufig los. Die Ajax-Fans feierten ihn und die Spieler noch eine dritte Halbzeit lang eingeschlossen (aus Sicherheitsgründen) in ihrem Block. Van Gaal zu den Sprechchören der Rassisten: „Das ist nicht so gut, aber es sind vielleicht 1.000 Menschen von 27.000. Es ist gut, daß die Mehrheit das nicht tut.“

Als Anne Frank und ihre Familie am 4.August 1944 aus dem Amsterdamer „Hinterhuis“ in ein deutsches Konzentrationslager verschleppt wurde, gab es in Deutschland auch eine schweigende Mehrheit.

Ajax Amsterdam: Menzo - Silooy, Blind, De Boer - Vink, Jonk, Alflen, Davids, Overmars - Pettersson, Bergkamp.

Zuschauer: 27.000.

Tore: 0:1 Alflen (42.).

Kaiserlautern: Serr - Kadlec - Ritter, Schäfer - Roos, Goldbaek (46. Lelle), Eriksson (66. Zeyer), Hotic, Witeczek - Vogel, Marin.