Eins in die Fresse

■ „Rollen, Spulen, Projektoren“ – Berliner Kinobetreiber als Filmemacher

Der Raddatz schreibt kuhäugige Romane, der Blumenberg beschwört den Sommer des Samurai auf Zelluloid. Daß Kritiker sich in dem Medium versuchen, das sie normalerweise in die Mangel nehmen, ist keine Seltenheit. Miriam Eich hat jetzt eine neue Spezies von Vertretern des zweiten Bildungsweges entdeckt: der Kinobesitzer als Filmemacher. In ihrem Programm „Rollen, Spulen, Projektoren“ zeigt die rührige Programmacherin des Checkpoint-Kinos eine erstaunliche Ausbeute. Zahlreich drängt es die Filmvorführer, den vielen Bildern, die sie in ihren Kinos über sich ergehen lassen müssen, eigene hinzuzufügen. Von Moviemento bis Babylon-Mitte, von Sputnik bis Brotfabrik, fast jedes Berliner Off-Kino hat einen hauseigenen Kurzfilmer.

Ganz nah an ihrem schnöden Alltag bleiben die Mitarbeiter des Adria. „Die auf die Nüsse gehen“ (Klaus Stawecki, 1992) gibt einen satirischen Einblick in den harten Mittwoch. Da ist Kinotag, und die Massen strömen. Der Zuschauer, das Monster von nebenan. Zwischen Popcorn, Kartoffelchips und Eiskonfekt skizziert Stawecki mit scharfem Strich die verschiedenen Typen. Der Schnorrer mit Alternativanspruch bekommt genauso sein Fett weg wie der feiste Biedermann, der die Billigkarten gleich auf Vorrat kaufen will. Der genervte Filmvorführer kann den gesammelten Frust nur noch mit Stricknadelvoodoo an zurückgelassenen Kleidungsstücken kompensieren. Das ist brüllend komisch, ätzend böse und perfekt gemacht. Der Institution des Vorfilms wird leider immer nur von Schreiberlingen und Machern eine Renaissance gewünscht. Mit einem Film wie diesem könnte vielleicht auch das Publikum überzeugt werden.

In ganz anderer Weise setzt sich Thomas Bauermeister mit dem Medium auseinander. Bilder von den Dreharbeiten zu Chabrols „Dr. M.“ mischt er mit fiktionalen Rollenstatements der (prominenten) Darsteller. Dokumentarmaterial und gestellte Szenen verbinden sich zu einer alptraumhaften Zukunftsvision.

Den Psychothriller zwischen Brian de Palma und Hitchcock- Suspense hat sich Tom Tykwer zum Vorbild genommen. Den Höhepunkt eines Beziehungsdramas einschließlich tödlichem Ausgang zeigt er in „Epilog“. Die Perspektiven wechseln, am Schluß hat sowohl der Mann die Frau, als auch die Frau den Mann umgebracht. Mit genau kalkulierten Kameraschwenks und guter Schauspielerführung – selten bei Kurzfilmen – stört Tykwer Schritt für Schritt die Zuschauerwahrnehmung. Der Realismus des Anfangs hat sich am Ende in ein Mißtrauen gegen die Wahrheit der Bilder gewandelt, ohne daß die eingesetzten Mittel verändert worden wären. Allen drei Filmen ist der Rattenschwanz an Kinoerfahrung anzumerken, den die Macher mitbringen. Virtuos und professionell (alle Filme sind auf 35 mm gedreht worden) benutzen sie die Sprache der Bilder, ohne Zitatenzwang und kunstgewerbliche Spielereien.

Aber auch in kleineren Formaten sind Berlins Kinomacher originell. In Cornelia Klauß' herbstlicher S-Bahnhof-Elegie „Samuel“ begegnen sechs Vertreter des typischen ÖPNV-Benutzers einem Kind auf dem Bahnsteig. Eine fünf Minuten kurze Meditation über das Warten und die Magie der kleinen Ereignisse. Berlin von vorne, hinten, oben und unten ist fast überall präsent. Es sind Einblicke in die Rückseite der Stadt, abseits geschäftigten Hauptstraßentreibens. Klaustrophobische Mann/ Frau-Katastrophen im Spießerhochhaus („Personen haben einen sicheren Stand einzunehmen“, Claus Löser) stehen neben einem punkigen Kreuzberger Geschlechterkampf („Der Macker kriegt eins in die Fresse“, Andreas Wildfang). In der Fabriketage wird beidgeschlechtlich, von Schwarzfilm unterbrochen, gefickt („What's so dirty about“, Carl Andersen), und ein Mann, dessen Arm von einem Auto abgefahren wurde, streift traumwandlerisch über die Autobahn („Tagesreste“, Matthias Müller). Dieses Berlin ist ein unwirtlicher Ort, ohne Grün und ohne Wärme. Die Bewohner kämpfen ums Dasein, um Liebe und Tod. Die Erfüllung ihrer Wünsche ist ihnen nur selten vergönnt.

Es geht aber auch anders. Ganz ohne Kunstanspruch ist die Abteilung Sci-fi-Trash. Bei dem Kurzopus „Ropotow im Kampf gegen Terragöros“ der Teufelsberg Prodution greifen Gurkenscheiben das Raumschiff mit den letzten Menschen an. Von Jörg Buttgereit (der zur Xenon-Mannschaft gehört) ist ein Frühwerk zu sehen. Statt Godzilla aus dem Meer taucht „Gazorra“ aus dem Erdinnern auf und zertrommelt Kinderautos im Legoland. Beim finalen Kampf mit einem Spielzeugroboter schmilzt selbst der Kirchturm der Plastikkirche dahin. Sofern sie sich nicht mit dem eigenen Metier beschäftigen, sind Kinobetreiber Kurzfilmer wie andere auch – wen wundert's. Einen besonderen Umgang mit Bildern und Geschichten kann man aus ihren Werken nicht herauslesen. Trotzdem ist der Projektionisten-Zusammenschnitt ein lohnenswerter Streifzug durch die Szene: ein prallvoller Sack mit Geschichten und Experimenten, kurzweilig und langatmig, lustig und garstig – und fast ungewollt ein buntes Panoptikum der Stadt und ihrer verrückten Bewohner. Gerd Hartmann

„Rollen, Spulen, Projektoren“ – zwei Programme mit Kurzfilmen Berliner Kinomacher. 11.-16.12., Checkpoint