Nicht nur Märchen

Aufführungen für Kinder füllen vor Weihnachten die Kassen und beleben für einen Monat die  ■ Kindertheater-Landschaft

Alle Jahre wieder: Vor Weihnachten belebt sich Hamburgs wüste Kindertheaterlandschaft, Schneewittchen und Drosselbärte, Rumpelstilzchen, Nußknacker und dergleichen populäres Personal beginnen, die Bühnen zu bevölkern. Neben Klassikern wie Grimm und Andersen zählen inzwischen auch Jugendbücher zu den Stoffen, aus denen die „Weihnachtsmärchen“ gemacht werden.

Zum Beispiel das Märchen-Musical Arriman der Schreckliche von Mägädäm und Arillfrisch auf Kampnagel. Arriman, der Meister der schwarzen Magie, ist des Zauberns müde und hält Ausschau nach einem Nachfolger für sein Schloß Dunkelloch. Ein Hexenwettbewerb soll seine zukünftige Gattin ermitteln. Die schöne Belladonna ist verzweifelt, möchte sie doch so gern den Wettbewerb gewinnen. Mit Hilfe von Freunden und Regenwurm Rolf gelingt es ihr, die sumpfigen Nebenbuhlerinnen auszuboten, und Arriman verliebt sich in Belladonna. Fetzige Live-Musik und ein Bühnenbild, das mit illusionistischen Tricks überrascht, machen das Musical spannend — nicht nur für junge Leute ab acht.

Direkt in der Wüste landen Robinson und Crusoe im Jugendtheater auf Kampnagel. Das gefährliche Spiel der anfangs verfeindeten Soldaten (Stefan Mehren und Erik Schäffler) hat Jürgen Zielinski für Menschen ab zwölf inszeniert. Es geht ums Überleben, und die beiden Schauspieler lassen daran keinen Zweifel, wenn sie mit einem

1artistischen Körpereinsatz auf der Bühne arbeiten, der von feierlichem Illusionstheater ebenso weit entfernt ist wie ein Road Movie von einem Weihnachtsmärchen.

Die rote Zora und ihre Bande, das sind sechs heimatlose Jugendliche, die in der Nachkriegszeit ums Überleben kämpfen. Diaprojektionen versetzen den Zuschauer in den kleinen Ort Senij. Die rote Zora hat wirklich gelebt — ohne Happy-End. Gert Kieras inszenierte die Geschichte der Jugendbande nach Kurt Helds bekanntem Roman als Theaterstück im Museum der Arbeit. Der Regisseur brachte mit

1den jungen Darstellern der Theater Jugend Hamburg die traurig-schöne Geschichte um Freundschaft und Haß, Liebe und Abenteuer mit viel Gefühl auf die Bühne.

Lustiger, aberwitziger Klamauk sind die Abenteuer des Sams. Pünktlich am Samstag erscheint es bei Herrn Taschenbier, um dessen geordnetes Leben gründlich durcheinanderzuwirbeln. Taschenbier und das grüne Wesen mit den roten Stachelhaaren und den blauen Wunschpunkten stellen furchtbar viel Unsinn an. Mit der flotten Inszenierung des Kinder-Musicals hat Regisseurin Rose Riggs Eine Woche voller Samstage in den Kammerspielen den Hit unter den diesjährigen „Weihnachtsmärchen“ gelandet.

Alle Jahre wieder kommt die Knusperhexe in die Staatsoper, und sie ist der einzige Lichtblick in der angestaubten Einstudierung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. 1972 inszenierte der 1986 verstorbene Peter Beauvais die einfache Geschichte mit ebensolchen Mitteln. Die Geschwister leben mit gemütlichem Vater und schimpfender Mutter in einer Holzhütte im Wald — wo sonst. Lediglich ein Hexenritt hoch über der Bühne ist Sprache der Bewegung in einer Aufführung, in der die Musik im Vordergrund steht. Untermalt von eingängigen Kinderliedern bleibt die Oper der Märchenvorlage treu. Ein Sandmännchen und eine Heerschar blondperückter, Brezel-spendender Engelchen sorgen kaum für Pepp.

Aus E.T.A. Hoffmanns Märchen Nußknacker und Mäusekönig haben Regisseur Claus Gutbier und Choreograph Ralf Dörnen im Theater für Kinder in Altona eine Mischung aus Tanz, klassischer Musik und märchenhafter Erzählung gezaubert. Die verschachtelte Geschichte um das Schicksal der kleinen Marie und ihrem Nußknacker, der natürlich ein verzauberter Prinz ist, wird geschickt mit den Tanzeinlagen und Tschaikowskis Musik verbunden.

Kinder freuen sich über Märchen ebenso wie über Theateraufführungen, und wie es seit Jahrzehnten der glückliche Zufall will, ist der Märchenboom das einträgliche Weihnachtsgeschäft der Theater. Und das ist im Januar eben vorbei. Vielleicht aber würden Kinder von Januar bis November auch gerne mal ins Theater gehen? Nina Schöneweiß