Wenn die Kauflust zur Krankheit wird

■ Kaufsucht wird erst dann zum Problem, wenn der Schuldenberg drückt/ Die Selbsthilfegruppe „Shop-Aholic“ in Berlin versucht, diesem Phänomen Herr zu werden

Wenn Imela Marcos nach New York flog, verhängten die exklusiven Schuhboutiquen eine Urlaubssperre. Die Ex-Diktatorengattin verschleuderte einen großen Teil des philippinischen Sozialproduktes für diamantenbesetzte Schuhchen in allen Formen und Farben. Als sie aus Manila fliehen mußte, hinterließ sie dem Land neben einem gewaltigen Staatsdefizit Tausende und niemals getragene Schuhe. War Imela Marcos eine „Shop-Aholic“, litt sie an dem Syndrom, das Psychologen „Kaufsucht“ nennen?

Ein Grenzfall, sagt Helga Scheider-Schelte, Suchtbeauftragte von der Berliner „Selbsthilfe Kontakt und Informationsstelle“ (SEKIS). Die Millionärin habe sicher ihre Fischzüge nicht als „zwanghaft“ begriffen und verspürte ganz sicher nicht die geringste Spur von „Schuldbewußtsein“. Denn ihrer „Sucht“ waren keine materiellen Grenzen gesetzt. „Die Kaufsucht wird erst dann zum Problem, wenn kein Geld mehr da ist, die Sucht zu befriedigen.“ Ist also jeder Normalmensch kaufsüchtig, der ohne Rücksicht auf Überziehungskredite den Alltagsfrust durch Kompensationseinkäufe erstickt? „Tendenziell ja“, sagt die Sozialarbeiterin, „bloß bedeutet dies noch lange nicht, daß dieser Konsumtrieb subjektiv auch als eine Abhängigkeit begriffen wird.“ Unklar sei auch, wann die Kaufsucht begänne. Denn wer will unterscheiden, ob Mensch nur wieder einmal der glitzernden Warenwelt erlegen ist oder ob der Einkauf als „ichfremd“ erlebt wird – als nicht gewollt und trotzdem getätigt.

Bei keiner anderen Sucht sei der Übergang zum Normalverhalten so nahtlos wie eben bei diesen Ersatzbefriedigungskäufen, weiß die SEKIS-Mitarbeiterin. Arm sind nur die dran, die ihr Leben wegen Überschuldung nicht mehr meistern können. Wie viele das in Berlin sind, weiß Helga Schneider- Schelte nicht. Denn es sind nur vier Frauen, die sich an der Shop-Aholics-Selbsthilfegruppe beteiligen, die – seit amerikanische Psychologen 1989 das Phänomen erstmals beschrieben – gemeinsam versuchen, ihr Problem nach Prinzipien der Anonymen Alkoholiker zu bewältigen.

„Was du hier hörst, wen du hier siehst, wenn du gehst, bitte laß es hier“, heißt die Grundregel. Nicht einmal die Vornamen sind den Leidensgenossinnen untereinander bekannt. Neun Seiten umfaßt die Präambel der „Debitor's (Schuldner) Anonymen“ (DA), wie sie sich selbst nennen. Die einzige Voraussetzung zur DA ist der Wunsch aufzuhören mit dem untilgbaren Schuldenmachen. Indem die Folgen der Kaufsucht bekämpft werden, wird der Weg freigemacht, die Ursachen zu erkennen. Die DA hat einen 15-Punkte- Fragenkatalog. „Schläfst du schlecht wegen deiner Geldsorgen?“ heißt eine davon. Wer mehr als acht dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet, ist bei der DA gut aufgehoben. Weitere 13 „Alarmsignale“, wie das Gefühl, „sich erwachsen zu fühlen bei der Benutzung einer Kreditkarte“, signalisieren den Weg in die „Krankheit“. Zwölf Schritte weisen dann den Weg ins schuldenfreie Leben. Sie beginnen mit der Erkenntnis, „machtlos“ gegenüber dem übermäßigen Geldausgeben gewesen zu sein, und enden mit dem „seelisch-geistigen Erwachen“. Der eigenen Machtlosigkeit wird der Glaube an eine höhere Macht, die „Gott“ genannt werden kann, entgegengesetzt. Die Selbstkontrolle hat aber auch handfeste Regeln – vom Führen eines Ausgabenheftes bis zu kontrollierten Ausgabeplänen. Über die Erfolgsrate kann Helga Schneider-Schelde nichts sagen, denn das schwierigste sei, die Sucht als solche zu erkennen.

Das Shop-Aholic-Syndrom kann erst dann als Sucht bezeichnet werden, so die einzige wissenschaftliche Studie über dieses Phänomen in Deutschland (Universität Hohenheim), wenn die Einkäufe subjektiv als „unwiderstehlich erlebter Drang, Abhängigkeit bis hin zum Verlust der Selbstkontrolle, Tendenz zur Dosissteigerung“ begriffen werden und Entzugserscheinungen auftreten. War Imela Marcos also kaufsüchtig, oder war sie das, was sie schien, eine enthemmte Egomanin? Anita Kugler