: Rechtsextreme im Osten besonders aktiv
Die Zahl der rechtsextremistischen Anschläge hat gegenüber dem Vorjahr deutlich zugenommen/ Gespräch mit dem Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Heinz Annußek ■ Von Severin Weiland
Berlin. Die Zahl rechtsextremistischer Angriffe nimmt in Berlin zu. Zwar sind die vom Verfassungsschutz registrierten Gesetzesverletzungen in diesem Bereich bis Ende November dieses Jahres mit 332 gegenüber 322 aus dem Vorjahr nur geringfügig angestiegen. Verändert hat sich aber nach Ansicht von Heinz Annußek, Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, die „Qualität der Angriffe“. So sind nach den neuesten Zahlen des Berliner Amtes bis Ende November dieses Jahres 80 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund begangen worden; im vergangenen Jahr waren es noch 51. Zwei Drittel aller Taten wurden im Ostteil der Stadt begangen. Trotz der Zunahme rangiere Berlin im Vergleich mit anderen Bundesländern jedoch „am unteren Ende der Skala“, so Annußek zur taz.
Nach wie vor geht der Verfassungsschutz von einer relativ kleinen rechtsextremen Szene in Berlin aus. Zwar gibt es nach Ansicht von Annußek Tendenzen, die Arbeit in die von den Rechten titulierte „Reichshauptstadt“ zu verlegen, „aber ein Schwerpunkt ihrer Aktivitäten ist die Stadt nicht“.
Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen neben der „alten Rechten“ (unter anderem NPD, DVU und Deutsche Liga für Volk und Heimat), die rund 1.000 Personen umfaßt, vor allem jene Organisationen, die sich in der Tradition der Nationalsozialisten sehen. Als eine der stärksten Gruppierungen gilt derzeit die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) mit etwa 40 Anhängern. Die „Nationale Alternative- Berlin“ (NA) hat hingegen laut Verfassungsschutz mit dem überregionalen Auftreten der in dieser Woche verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA), die 20 Mitglieder in Berlin zählt, an Bedeutung verloren.
Neu im rechten Spektrum sind seit einigen Monaten die „Sozialrevolutionäre“, eine Abspaltung der inzwischen verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF). Die 10 Mitglieder umfassende Gruppe ringe „derzeit um ihre politische Orientierung“ und versuche, eine Jugendgruppe aufzubauen, so Annußek. Insgesamt sind dem Verfassungsschutz 204 Personen namentlich bekannt, die sich in den verschiedenen Neonazi-Gruppierungen organisiert haben – weitere 100 Personen zählen zu ihrem Umfeld.
Korrigiert hat der Verfassungsschutz mittlerweile seine Erkenntnisse über die Skinhead-Szene. Frühere Aussagen, wonach die Skinheads „weder organisationsfähig noch -willig“ seien, könne man heute nicht mehr aufrechterhalten, so Annußek. Mittlerweile seien von den über 300 erfaßten gewaltbereiten Skinheads rund 70 in Neonazi-Gruppen tätig. Auffällig ist das Durchschnittsalter bei den Neonazi-Gruppen und Skinheads: Mehrheitlich handelt es sich um junge Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Frauen bleiben dagegen eine Minderheit: Mit durchschnittlich rund 10 Prozent ist ihr Anteil an der gesamten Neonazi- und Skinhead-Szene seit dem vergangenen Jahr in etwa gleichgeblieben.
Mit Sorge beobachtet der Berliner Verfassungsschutz die zunehmende Gewaltbereitschaft der verschiedenen rechtsextremen Gruppen. Annußek: „Es gibt den erkennbaren Willen, sich den Linksextremisten zum Kampf zu stellen.“ Ausdruck dafür sei etwa das „Nationale Einsatz-Kommando“ der inzwischen verbotenen NF, das gezielt gegen linke Organisationen vorgehen sollte. Daß die Rechtsextremisten terroristische Gruppen aufbauen, darüber liegen dem Verfassungsschutz bisher keine Erkenntnisse vor. Eine Entwicklung zu „verfestigten Strukturen“ wie etwa bei der RAF wollte Annußek für die Zukunft aber nicht ausschließen: „Wir müssen die Entwicklung weiter sehr aufmerksam verfolgen.“
Ob in Zukunft auch die „Republikaner“ – wie jüngst vom Generalsekretär der Bundes-CDU, Peter Hintze, angeregt – vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet werden könnten, hält Annußek derzeit für fraglich: „Wir haben in Berlin selbst keine Erkenntnisse darüber, daß die Partei stärkere verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.“ Eine Beobachtung der Partei hänge letztlich auch von „der weiteren Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland ab“.
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