Das Katalonien jenseits von Olympia

■ Ein kompetenter Kunst- und Reiseführer, der eine ausführliche Landeskunde der Katalanischen Länder bietet – und auch den Alltag nicht außen vor läßt

Ein Großereignis ließ Katalonien in diesem Jahr 1992 in besonderem Glanz erstrahlen: die Olympischen Sommerspiele in Barcelona. Im Ausland macht sich ein besonderes Interesse für diese Region im Nordosten der Iberischen Halbinsel bemerkbar, insbesondere auch an der seit einigen Jahren zunehmenden Zahl von Büchern und Zeitschriften über Spanien als Ganzes, einzelne Regionen oder Städte. Glied in diesem Reigen ist der bei Kohlhammer in Stuttgart erschienene Kunst- und Reiseführer „Katalonien und die Katalanischen Länder“, den der Frankfurter Romanistikprofessor Tilbert D. Stegmann zusammen mit seiner Frau Inge Mees verfaßt hat und der sich allein schon von der Anlage her abhebt von dem, was man üblicherweise unter Reiseliteratur versteht. Es ist nicht nur ein Reiseführer, sondern ein regelrechtes landeskundliches Lesebuch.

Als erstes fällt an dem Buch die benutzer- und gebrauchsfreundliche Aufmachung auf: es ist handlich genug, um in jedes Reisegepäck zu passen, der feste Einband schützt es jedoch vor dem Schicksal so manchen Taschenbuches, das die Strapazen einer kunst- und kulturbeflissenen Rundreise kaum unbeschadet überlebt. Aber auch der Inhalt kann sich sehen lasen.

Rund einhundert Seiten umfaßt ein sehr informatives Kapitel „Landeskunde“, in dem der Leser/ die Leserin fundierte Kenntnisse über „Geographie und Wirtschaft, die katalanische Sprache, Geschichte, Kunst und Architektur“ und „Musik und Literatur“ der Paisos Catalans (Rosselló/Roussillon in Frankreich, Andorra, Katalonien, das Land València und die Balearen in Spanien) erwerben kann. All diese Abschnitte zeugen von profunder Sachkenntnis und Zugang zu den aktuellsten Informationsquellen.

Der eigentliche „Reiseteil“, stolze 400 Seiten stark (S.114–516), macht dem Namen „Kunst- und Reiseführer“ alle Ehre: in nicht weniger als 50 Routenvorschlägen wird der Leser/die Leserin buchstäblich an der Hand genommen und in gut lesbarem Stil durch die herrlichen Landschaften dieser 70.000 Quadratkilometer großen Region geführt. Aber nicht etwa nur von Kulturdenkmal zu Kulturdenkmal, sondern auch hinter die Kulissen, in den Alltag der katalanischen Menschen.

Dennoch rümpft es über den gängigen Tourismus in den Stranddörfern nicht die Nase. Es informiert über den jeweiligen Urlaubsort und seine Umgebung und macht auch dem sonnenhungrigen Urlauber Lust auf einen Abstecher ins Landesinnere, vielleicht sogar abseits der ausgetretenen Pfade des Fremdenverkehrs. Dies sieht der Katalonienkenner und -liebhaber mit etwas zwiespältigen Gefühlen: bleiben die abgelegeneren Punkte der Paisos Catalans, wenn man – angesichts ihrer kunsthistorischen Bedeutung und ihrer natürlichen Schönheit mit Recht – so für sie wirbt, noch lange abgelegen?

Immer wieder ist deutlich festzustellen, wie sehr Tilbert Stegmann mit dieser Region verbunden ist: sein Vater war Direktor der Deutschen Schule Barcelona, und seit diesen Kindheitsjahren hat ihn das Land nicht mehr losgelassen.

Hinzu kommt ein Aspekt, der angesichts der Entwicklung, die Spanien nach dem Tod des Diktators Franco, der das Katalanische verboten hatte, durchlaufen hat, keineswegs nebensächlich ist: konsequent werden die Ortsnamen in der Landessprache – gegebenenfalls sogar mit Aussprachehilfe – angeführt. Und das ist sinnvoll. Wer käme auf die Idee, Ortsnamen anderer Länder in einer Drittsprache, wie dies bei katalanischen Orten das Spanische wäre, zu nennen? Wir verwenden entweder die des Gastlandes oder, wenn es sie gibt, deutsche Bezeichnungen. Also ist es richtig, auch das deutschsprachige Publikum mit Lleida statt Lérida, Barceloniner statt Barceloneser und Eivissa statt Ibiza und so weiter vertraut zu machen. Volker Glab

Tilbert und Inge Stegmann: „Katalonien und die Katalanischen Länder. Kunst- und Reiseführer“. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1992.