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Der alte Löwe hat ausgebrüllt

Willi Daume, beherrschende Figur des westdeutschen Nachkriegssports, tritt ab und räumt das Feld für einen ungeliebten Nachfolger  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Stuttgart (taz) – Der alte Löwe sitzt in seinem Bau und denkt darüber nach, ob er noch einmal brüllen soll. Grund gäbe es genug, meint er, der Sport ist in Verschiß geraten. Aber er wird es nicht tun, weil er ahnt, daß er niemand mehr aufrütteln kann. Willi Daumes Zeit ist vorbei.

Gewiß, heute zum Abschied von seinem letzten Amt, dem Vorsitz im Nationalen Olympischen Komitee (NOK), den er 31 Jahre lang innehatte, werden sie den 79jährigen mit Lob überschütten. Sie werden ihn den wichtigsten Sportführer Nachkriegsdeutschlands nennen, den Übervater des deutschen Sports, den Visionär und Philosophen des Sports, und sie werden sagen, daß kein anderer sich solche Verdienste um die organisierten Leibesübungen im Lande erworben hat wie er und daß sein Abgang ein großer Verlust sei. Ja, so werden sie es sagen, die Festredner im Stuttgarter Rathaus, und manch einer wird sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischen.

Sie haben ja alle so recht, weil sie alle von der Vergangenheit sprechen. Von den 60er Jahren, als Daume noch für gesamtdeutsche Olympiamannschaften kämpfte und sich von Adenauer fragen lassen mußte, ob er eigentlich Kommunist sei. Von den 70er Jahren, als Daume die heiteren Spiele von München erfand und sie von Terroristen zusammenschießen lassen mußte. Von den 80er Jahren, als Daume Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) werden wollte und am Boykott der Spiele von Moskau scheiterte, den bornierte Politiker durchsetzten.

Danach bricht die glanzvolle Vita ab. Zwar schiebt sich der Münchner Unternehmer („Eisen- Daume“) noch einmal ins Rampenlicht, als er den Profis den Zutritt zum olympischen Zirkus verschafft, aber schon damals wurde das als Sündenfall des Schöngeists empfunden. Und sein letztes Kind, die Berliner Olympiabewerbung, ist bekanntermaßen auch nicht das strahlendste.

Heute ist Willi Daume der einsamste Mann im Sport. Zu sehr hatte er die Funktionäre spüren lassen, daß sein Horizont nicht der ihre war. Ein Daume verkehrte nur mit den Großen der Welt, schmückte sich mit Freunden wie Walter Jens, zitierte Goethe, Hegel und Jaspers, während seine Sportsfreunde über die Leasingraten ihres neuen Mercedes debattierten. Dieser Mensch, der einst Krokodillederschuhe trug und Ferrari fuhr, war eigentlich nie ein Funktionär, sondern stets der Überflieger des Sports. Er liebte den großen Wurf, den Sportler und die Sportlerin, die das Feuer aus dem Stein schlugen.

Doch dort oben auf dem Olymp war er immer allein, weil er nie jemand hochkommen ließ. Keiner aus dem Sport war im Grunde gut genug, ihm nachzufolgen, und wenn's denn einer wagte, den Hut in den Ring zu werfen, war er vor der Häme des elitären Herrn nicht sicher. August Kirsch etwa, der Multifunktionär, der ihn gerne im NOK-Amt beerbt hätte, wurde mit der Auslassung abgemeiert, es könne keiner Daume-Nachfolger werden, der schon im Vorzimmer des Kanzlers scheitere.

Den zweiten Bewerber konnte Daume freilich nicht mehr verhindern: Walther Tröger. Der 63jährige ist sein Generalsekretär, aber deshalb nicht sonderlich geschätzt, weil er genau das verkörpert, was Daume nicht mag: den Funktionär. Der Jurist Tröger ist ein Mann des Apparates, in dem er seit 1953 hauptamtlich sein Geld verdient. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine Tätigkeit als Sportdirektor des IOC (1983 bis 1990), wo er Juan Antonio Samaranch zur Hand gegangen ist, was dessen Intimfeind Daume auch nicht gnädiger gestimmt hat. Für den Geldschrank Samaranch hat Tröger stets abgewogen, wann die keuschen Wünsche der Sponsoren unkeusch werden, und dabei, so sagt er, die Interessen der Athleten stets an die erste Stelle gesetzt.

Kommerzialisierung, meint Tröger, ist ein technisch-organisatorisches, kein ideologisches Problem. Dies sehen offensichtlich die Fachverbände des deutschen Sports genauso, und deshalb haben sie im Vorfeld der heutigen Wahl des NOK-Präsidenten den beiden Kandidaten August Kirsch und Harm Beyer eine glatte Abfuhr erteilt und sich mit großer Mehrheit für den Pragmatiker Tröger ausgesprochen. Und jener hat mit der Ankündigung gedankt, daß er „keine Revolutionen“ plane, während der alte Löwe in München nur noch leise sagt, der Abschied falle ihm nicht mehr schwer – bei dem Niveau.

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