Kritik an Indiens Polizei

■ Extrem hoher Anteil von Moslems unter den Opfern der Unruhen

Neu-Delhi (taz) —Tausend Menschen sind bereits infolge der landesweiten Unruhen nach der Zerstörung der Moschee von Ayodhya umgekommen. Die Intensität der Auseinandersetzungen scheint nun jedoch nachzulassen. Die hohe Zahl der Opfer bildet für die Öffentlichkeit aber Anlaß zur Frage, ob die Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung verhältnismäßig und wirkungsvoll genug sind.

Die Verhältnismäßigkeit wird vor allem deshalb in Zweifel gezogen, weil die meisten Opfer Moslems sind, die überdies von Polizeikräften erschossen wurden. Eine Erklärung liegt sicher in dem Umstand, daß es Moslems waren, die zuerst auf die Straße gingen, Geschäfte und Häuser von Hindus angriffen und daher ins Visier der Polizeigewehre gerieten. Zudem leben viele von ihnen — ein Zeichen ihrer Armut — in den verwinkelten Bazaren von Städten wie Ahmedabad, Hyderabad und Bhopal.

Die Nervosität der Ordnungskräfte ist dort besonders groß, und die Zahl unbeteiligter Opfer unverhältnismäßig hoch. Aber es gibt Berichte, die den Verdacht wecken, daß die Moslems oft als „Freiwild“ betrachtet werden, während die Hindus zuerst einmal mit Tränengas eingedeckt werden. Die indische Polizei rekrutiert ihre Beamten vor allem in der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit. Auch diesmal sah sich die Regierung gezwungen, in einzelnen Bundesstaaten, in denen die Polizei im Rufe steht, anti-moslemisch zu sein, die Armee einzusetzen.

Während die Hauptstadt Delhi von größeren Unruhen verschont geblieben ist, wurde erstaunlicherweise der Industriestaat Maharashtra zum schlimmsten Brennpunkt der Kämpfe. Dabei starben allein in Bombay fast 200 Menschen. Beobachter sehen darin auch das Resultat der Präsenz einer besonders rabiaten hinduistischen Lokalpartei, der „Shiv Sena“, dessen Führer Bal Thackeray sich offen zu faschistischen Vorbildern bekennt und der jeden indischen Moslem als pakistanischen Spion verdächtigt.

Aber die vielen Opfer in Bombay verweisen auch auf die Kehrseite dieser reichen Industrie- und Filmmetropole: die tägliche Zuwanderung von etwa vierhundert arbeitssuchenden Familien, die in einem der Slums landen. Die Hälfte der 10 Millionen Einwohner leben bereits in diesen Hüttensiedlungen, von denen viele durch Mafia-Gangs beherrscht werden, die politische Unruhen oft als Gelegenheit zur Begleichung alter Rechnungen nutzen.

Premierminister Narashima Rao erklärte am Freitag, die Gefährliche Spannung löse sich „dank des entschiedenen Auftretens der Polizei“ allmählich. Falls die Beruhigung auch wirklich eintritt, kommt sie keinen Moment zu früh. Zahlreiche Touristen haben bereits ihre Ferienbuchungen annulliert, es wird einen empfindlichen Einkommensausfall geben. Auch ausländische Investoren, die Indien mit neuem Interesse beobachteten, dürften ihre Pläne erst einmal revidieren. Bernard Imhasly