„Wer aussteigen will, muß Energie einsparen“

■ Michael Müller, Umweltsprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zur Atompolitik

taz: Die Stromkonzerne Veba und RWE verkünden das „geordnete Auslaufen“ ihrer Atomkraftwerke, und Sie poltern dagegen, warum?

Michael Müller: In dem Brief der Vorstandsvorsitzenden Piltz und Gieske steht, ihr Ziel sei ein Verfahren zur Findung von Vorgaben, mit denen die Atomkraft wieder breite politische Akzeptanz finden wird. Das ist der erste von vier Punkten ihres Briefes.

Sie glauben also, daß der Brief der Stromindustriellen mit dem Ausstieg aus der Atomenergie nichts zu tun hat?

Es muß nichts damit zu tun haben, ich sehe da keinen Automatismus. Ich sehe den Brief eher als Auftakt zu einem wichtigen Pokerspiel an, das auch Möglichkeiten zum Ausstieg eröffnen kann.

Also doch ein Schritt nach vorn von seiten der Stromindustrie?

Möglich, aber jedenfalls so einfach nicht. Veba und RWE haben im Augenblick nur den Status quo in der Gesellschaft akzeptiert. Weder mit der Politik noch gegen die Mehrheit der Bevölkerung sind derzeit neue Atomkraftwerke durchzusetzen. Das einzuräumen ist eine Modifizierung ihrer bisherigen Position, aber noch kein Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft. Wer den Einstieg in den Ausstieg will, muß vor allem Energie einsparen. Das aber erfordert einen völligen Umbau der Energieversorgung von einer angebotsorientierten zu einer nachfrageorientierten Versorgung.

Der Konzernvorschlag enthält eine Zeitfrist für die Abschaltung jedes Reaktors. In dem Papier steht zwar „XX Jahre“, aber dennoch ist es das erste Mal, daß die Konzerne die Abschaltung von Atomkraftwerken politisch aushandeln wollen und nicht vom TÜV bestimmen lassen.

Dafür sprechen die Konzerne von 40 Jahren Betriebszeit für die Atommeiler, vor zehn Jahren war die Rede von 25 Jahren. Ich komme zurück zum Pokerspiel. Trotz Tschernobyl haben die Stromkonzerne mit dem Stromsparen, der Voraussetzung für den Ausstieg, noch nicht angefangen, verlangen aber jetzt die Sicherheit für ihre Investitionen in die Atomkraft. Gleichzeitig will Gerhard Schröder verständlicherweise nicht, daß Niedersachsen zum Entsorgungsland für den Atommüll wird. Der Konflikt um das Ende des Atommüllendlagers in Gorleben steht an. Es kommen also zwei Interessen zusammen. Ich zweifle aber, ob das Zusammenbinden dieser spezifischen Interessenlagen schon die Basis für einen energiepolitischen Konsens abgibt.

Und warum gerade jetzt der Vorschlag? Warum geben die Konzerne das Atommüllendlager Gorleben offensichtlich auf?

Weil die Konzerne im Grunde an Gorleben nicht interessiert sind. Die Wiederaufarbeitung von Atommüll ist ihnen zu teuer. Sie wollen weg von der Wiederaufarbeitung, hin zur direkten Endlagerung des Atommülls. National bedeutet das einen Ausbau von Zwischenlagern, die sehr lange existieren müssen. International kommt nur Schweden in Frage, das ist teuer. Ich befürchte, es gibt statt dessen künftig Druck für eine billige Lösung: Atommüll ab in die GUS. Das bedeutet aber auch neue militärische Risiken.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag 1986 einen Ausstiegsbeschluß gefaßt, was bedeutet diese neue Diskussion für die SPD?

Sie bedeutet forcierte Suche nach einem Gesamtkonzept. Viele haben den Ausstiegsbeschluß ja bis jetzt wie eine Bibel vor sich hergetragen, ohne etwas dafür zu tun, daß er möglich wird. Dennoch ist es eine fatale Fehleinschätzung, wenn man glaubt, daß jetzt die drei starken Männer Schröder, Piltz und Gieske in einem solch komplexen Politikbereich das einfach unter sich ausmachen können.

Wie soll es denn ausgemacht werden?

Es gibt doch auch einen großen verbalen Konsens über ein radikales Programm zur Energieeinsparung, der nie ausgetestet wurde. Das verlangt nach der völligen Änderung des Ordnungsrechts und des Energiewirtschaftsgesetzes. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die die Solarenergie fördern und eine innere Logik zur Minimierung des Energieverbrauchs produzieren. Je schneller uns das gelingt, desto schneller kommen wir ohne Großkraftwerke aus. Das erfordert aber einen Strukturwandel, der mit Atomkraft nicht zu machen ist.

Das schließt die Strategie Schröders und der Strombosse aber nicht aus?

Nein, ich habe aber Angst, daß die anderen Teile des notwendigen Konzepts für die deutsche Energiepolitik dadurch abgeblockt werden. Ich stelle mir statt dessen vor, daß wir zum Beispiel die Einsparvorschläge der Klima-Enquetekommission des Bundestages umsetzen und dadurch die großen Kraftwerke mit der Priorität bei den Atomkraftwerken überflüssig machen. Interview: H.-J. Tenhagen