Rußland sorgt für Eklat bei KSZE

■ Äußerungen des russischen Außenministers Kosyrew für Serbien lösten auf der KSZE-Konferenz Tumulte aus

Stockholm/Berlin (taz) – Lähmendes Schweigen, dann Tumult – so beschrieben deutsche Diplomaten die erste Reaktion auf die Schockrede des russischen Außenministers Andrej Kosyrew, der in der Eröffnungssitzung der KSZE- Außenministerkonferenz am Montag in Stockholm die NATO angriff, Serbien unterstützte und seine Außenpolitik auf Asien ausrichtete. „Die jetzige serbische Führung kann auf die Unterstützung Rußlands zählen... Die Grenzen einer Annäherung der russischen Föderation an Westeuropa sind erreicht.“ Er warf der NATO und der Westeuropäischen Union (WEU) Einflußnahme in der früheren Sowjetunion, besonders im Baltikum vor. Rußland fordere auch die Beendigung der Einmischung in Bosnien-Herzegowina und die Beendigung der Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) schien am Ende, ein neuer Kalter Krieg bevorzustehen.

In einer einzigartigen und bisher in der diplomatischen Geschichte beispiellosen Wende meldete sich Kosyrew eine halbe Stunde später erneut zu Wort und widerrief praktisch jedes Wort seiner ersten Rede. Er habe sie gegen die Auffassungen von Präsident Boris Jelzin und von ihm, Kosyrew selbst, aus „schwerwiegenden Gründen“ halten müssen. Der Text stamme von der russischen Opposition, die Jelzin schwer bedränge. Mit Hilfe dieses Täuschungsmanövers habe er vorführen wollen, wie ernst sich die Lage umkehren könnte, wenn Jelzins Feinde die Oberhand behielten. Aber Jelzin und er hielten natürlich alle Schärfe gegen Serbien für richtig und wollten an Schlägen gegen die Führung in Belgrad weiter mitarbeiten.

Vorübergehend fiel der ohnehin schon umständliche Geschäftsablauf der 51-Nationen-Konferenz in ein Chaos. Bundesaußenminister Klaus Kinkel sah keinen Grund mehr zur Beherrschung. Auch nach Kosyrews zweiter Rede dürfe die erste nicht unwidersprochen bleiben. „Auch wenn es uns verdammt nochmal nicht gelungen ist, die Konflikte unter Kontrolle zu bringen, so ist das doch keine innere Einmischung.“ Er werde an diesem Dienstag – in Begleitung von Bundeskanzler Helmut Kohl – persönlich in Moskau versuchen, dies der russischen Opposition klar zu machen. Schwedisch nüchtern meinte Ministerpräsident Carl Bildt: Egal welche Rede wirklich gemeint war, das Verfahren gebe allemal Grund zur Sorge. Übrigens auch für den Zusammenhalt in der KSZE. Die US-Delegation unter Außenminister Eagleburger reagierte erleichtert über das Dementi Kosyrews und bekräftigte die gemeinsame Haltung Rußlands und der USA gegenüber dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien.

Bis zu diesem Eklat hatten die 51 Delegationen immerhin einige Vorschläge gemacht, die für die künftige Struktur und Politik der KSZE von Bedeutung sind. So wird nach den Vorstellungen einer Kommission die Organisation zukünftig einen Generalsekretär haben. Die KSZE soll nach diesen Vorschlägen auch einen Minderheiten-Ombudsmann haben, dessen Aufgabe die Beobachtung von Nationalitätenkonflikten ist. Bestimmt wurde der niederländische Ex-Außenminister Max van der Stoel. Bei sich abzeichnenden Konflikten, die in Kriegen münden könnten, soll künftig im voraus Alarm geschlagen werden.

Zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsländern soll ein internationaler Gerichtshof in Genf eingerichtet werden. Erwartet wurde in Stockholm auch die Einigung über einen Text mit einer scharfen Verurteilung Serbiens und Montenegros wegen der Einmischung in Bosnien-Herzegowina. Dagegen sind nach dem Intermezzo mit Kosyrew die Chancen für Gegenmaßnahmen gegen den Einsatz der serbischen Luftwaffe gesunken, zumal mit Eagleburger immer noch die serbienfreundliche Fraktion in den USA das Sagen hat. Der Vorschlag, Waffenlieferungen an Bosnien zu genehmigen, scheint nach der ablehnenden Haltung Schwedens ebenfalls keine Chancen zu haben, angenommen zu werden. dpa/Reinhard Wolff