Der letzte Brief des Postministers

Schwarz-Schilling verbindet seinen Rücktritt mit einer Abrechnung mit dem Regierungsstil Kohls/ Er schäme sich, dieser Regierung anzugehören, wenn es beim „Nichtstun“ in Bosnien bleibe  ■ Von Hans-Martin Tillack

Bonn (taz) – Raus aus der Regierung, das heiße rein in die Politik. Ebenso überraschend wie der Rücktritt von Postminister Christian Schwarz-Schilling kam seine Begründung für diesen Schritt. Sie wurde zur Generalabrechnung mit dem Regierungsstil des Bundeskanzlers. Das „Nichtstun“ der Regierung im Bosnien-Konflikt könne er nicht mehr ertragen. Die Bonner Entscheidungsmechanismen entsprächen nicht mehr „unserer Zeit“.

Er schäme sich, dieser Regierung anzugehören, wenn sie bei ihrem „Nichtstun“ in Bosnien bleibe, das hatte der Postminister schon in der Kabinettssitzung am Mittwoch erklärt. Niemand sei gezwungen, hatte Helmut Kohl geantwortet, diesem Kabinett anzugehören. Damit habe der Bundeskanzler, so Schwarz-Schilling, die Verantwortlichkeit jedes Kabinettsmitglieds für das Handeln der Regierung klargestellt.

Die Schlußfolgerung des Postministers: Da er als Regierungsmitglied auf die Regierungsentscheidungen „in großen Fragen“ keinen Einfluß habe, müsse er zurücktreten. Als einfacher Abgeordneter, so sein entwaffnendes Bekenntnis, erhoffe er sich mehr „praktische Möglichkeiten“, Politik zu betreiben, als im Amt eines in die Kabinettsdisziplin eingebundenen Ministers. „Draußen“, so Schwarz-Schillings Klage, „wird man als Minister für alles haftbar gemacht, ohne mitentscheiden zu können.“

Dem Volk da draußen gab der Minister gestern Nachhilfe in aktueller Bonner Sozialkunde. Die wichtigen Beschlüsse würden in der Regel nicht im Kabinett gefaßt, sondern in Koalitionsrunden. Oder die Entscheidungen fielen gar nicht, weil die CDU von Parteitagsbeschlüssen der FDP oder der SPD ausgebremst werde – als ob Entscheidungen von Kanzler und Regierung nicht einen „anderen Rang“ haben müßten als Beschlüsse von Parteitagen. Weder das Ausland noch die Bürger könnten diese Entscheidungsmechanismen noch durchschauen. „Abnutzung“ drohe vor allem der CDU als größter Regierungspartei.

In seinen zehn Jahren als Postminister war Schwarz-Schillings Name außerhalb seines Fachressorts bestenfalls in Verbindung mit dem Bleiskandal gefallen, den die familieneigene Batteriefirma Sonnenschein in Berlin-Tempelhof verschuldet hatte. Gestern bemühte er sich energisch, dem Eindruck zu widersprechen, sein politischer Horizont reiche nur bis zur nächsten Portoerhöhung für Päckchen und Pakete. Er sei nicht vor 32 Jahren in die Politik gegangen, um ein besonders guter Postexperte zu werden, so sehr ihm diese Arbeit Freude gemacht habe.

Nein, in die Politik hätten ihn die Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Nachkriegszeit getrieben. Seine Mutter sei Polin gewesen, viele Verwandte seien umgebracht worden, „entweder von Deutschen oder von Russen“. An seine alten Ideale habe er sich wie nie zuvor erinnert, als in der CDU- Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag Augenzeugen des Krieges in Ex-Jugoslawien ihre Beobachtungen geschildert hätten. Dem in der Fraktion lauter werdenden Ruf nach einer militärischen Intervention fühle er sich, so Schwarz- Schilling, mehr verbunden als der abwartenden Haltung der Bundesregierung.

Vor allem das von FDP-Minister Klaus Kinkel geführte Außenministerium machte Schwarz- Schilling für das Abwarten verantwortlich, aber indirekt auch den Bundeskanzler, der die Blockade hinnehme. Anders als die FDP meine, erlaube es das Grundgesetz längst, so referierte der Minister die Haltung der CDU-Fraktion, die Bundeswehr im Auftrag internationaler Organisationen loszuschicken. Die deutschen Schiffe in der Adria könnten sich durchaus am Aufbringen von Embargobrechern beteiligen. Auch der Versuch, die Lufthoheit über das Kriegsgebiet zu gewinnen, wäre sinnvoll.

Auf dem Weg dorthin sollte man „nichts auslassen“, versicherte Schwarz-Schilling, auch nicht den Versuch, in Gesprächen mit der SPD einen Konsens über Bundeswehreinsätze zu suchen. Ein „Skandal“ sei es auf alle Fälle, daß die Bundesregierung nicht einmal in der Lage sei, vor dem Bundesverfassungsgericht „rechtzeitig“ eine Stellungnahme zur SPD- Klage gegen den Adria-Einsatz vorzulegen.

Schwarz-Schilling lobte den Kanzler, der ihm „auch in schwierigen Zeiten sehr geholfen“ habe. Doch daß es mit dieser Hilfe in den letzten Monaten nicht mehr weit her war, verschwieg der Postminister nicht. Schon am 10. August hatte er Kohl in einem Brief all seine Fragen vorgelegt – offenbar ohne Antwort zu erhalten. Nachdem er Kohl am Donnerstag per Brief von seiner Rücktrittsabsicht informierte, kam es nur zu Telefonaten – beim Minister für Post und Telekommunikation hielt Kohl das offenbar für angemessen.

Der Frust hatte Schwarz-Schilling offensichtlich nicht nur wegen Kohls Außenpolitik gepackt. Es sei schon lange her, daß der Kanzler das letzte Mal die Bedeutung der anstehenden Postreform hervorgehoben habe – so der Postminister als Postminister. Monatelang sei er in den Medien als „Minister auf Abruf“ gehandelt worden. Seine Stellung als Verhandlungspartner mit der SPD habe das nicht gestärkt. Kohl habe den Spekulationen nicht widersprochen, habe ihm „kein Signal“ zukommen lassen, ob er bei der geplanten Regierungsumbildung „anstehe“ oder nicht. Kein Anruf des Kanzlers – da schrieb der Postminister seinen Brief.