Bewährung plus Geldstrafe

■ Volksverhetzung vor Gericht: Angeklagter gibt sich als Ausländerfreund

vor Gericht: Angeklagter gibt sich als Ausländerfreund

Wegen Volksverhetzung verurteilte das Amtsgericht Hamburg gestern den 27jährigen Ragnar S. zu sechs Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 800 Mark. Der Angeklagte hatte am 18. Mai diesen Jahres in der U-Bahnlinie 2 geschrien: „Man muß alle Türken abstechen und alle schwangeren Türken aufschlitzen!“ Außerdem äußerte er lautstark die Meinung, die „Vergasung von sechs Millionen Juden ist eine gute Tat gewesen, aber nicht genug.“ Es wäre inzwischen an der Zeit, daß eine braune Regierung an die Macht käme.

Vor Gericht dementierte der arbeitslose S. alles. Er habe nie dergleichen gesagt, außerdem sei er nicht ausländerfeindlich, er verkehre sogar in einem Lokal, dessen Wirt Türke sei. In der U-Bahn habe er nur laut geschimpft. So erregt sei er deshalb gewesen, weil seine Freundin vorher auf dem U-Bahnhof von „drei ausländischen Mitbürgern“ bedrängt und beleidigt worden sei.

Seine Freundin bestätigte zwar seine Aussagen, manchmal sogar so wortgetreu, daß eine Absprache der beiden vermutet werden kann. Doch ein unbeteiligter Zeuge, ein 39jähriger Altenpfleger, widersprach den Aussagen der Freundin und schilderte den Fall: S. habe pausenlos wiederholt, „nur ein toter Türke sei ein guter Türke“. Er habe dabei mit einem Messer die U-Bahnsitze beschädigt und habe insgesamt einen aggressiven Eindruck gemacht.

Bei Volksverhetzung sind Strafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren möglich. Der Richter begründete den milden Urteilsspruch damit, daß der Schuldige zur Tatzeit betrunken gewesen sei und daß der langhaarige S. nicht dem üblichen Bild von Rechtsradikalen entspreche. Gleichwohl war sich der Richter darüber im klaren, daß „die

1Sache nicht mit Glacéhandschuhen angepackt“ werden sollte, denn „das Urteil soll abschreckend wirken“.

Als solches kann es aber nur dann erscheinen, wenn man weiß, um wieviel zurückhaltender die Hamburger Justiz in vergleichbaren Fällen urteilte. So wurden in den letzten zwei Jahren 15 Fälle von Volksverhetzung bekannt, davon kamen insgesamt nur vier überhaupt zur Anklage und nur eine führte zu einer Geldstrafe. Alle anderen wurden entweder eingestellt, sind noch offen oder fallen unter das Jugendstrafgesetz. AB