In Puffs und primitiven Hütten

■ Tagebuch-Eitelkeiten von Rühmkorf, Raddatz und Reemtsma im Literaturhaus

, Raddatz
und Reemtsma im Literaturhaus

Das silberne Lametta des Weihnachtsbaums am Fenster glitzert und die Halogen-Stehlampen spenden gedämpftes Licht. Vom Gemälde an der Decke beäugen halbnackte Mädchen die vorgetragenen Kostproben aus den Tagebüchern von Berühmtheiten und von Fritz J. Raddatz, Jan Phillipp Reemtsma und Peter Rühmkorf, die ihr eigenes Gedanken-gut und -böse zum Besten geben. Sogar im Gang des Literaturhauses stehen Menschen dicht gedrängt, um einen Fetzen Literatur-Kunst zu erhaschen.

Schon dagewesene Menschen- und Gesellschaftskritik, durchwebt von Unflats-Beschreibungen, werden von den Autoren mit ihrem eigenen, neuen Witz eingefärbt. Peter Rühmkorf erzählt von der Erfahrung, daß „mit halbabgerissenem Fingernagel schlecht Arschabwischen ist“. Für ihn hat die Biographie etwas mit „zu Grabe tragen“ zu tun, „welke Blätter sollen zum Komposthaufen werden“.

Beim durchstöbern alter Briefe fällt ihm auf, was für eine „blähende Imponierfigur“ er früher gewesen sei. Doch „das Tagebuch war Blitzableiter“ für seine „spätpubertierende Zwangsneurose“ als 1964 sein „Lebenspessimismus noch grün war“ und „der Lebensekel frisch im Kraut stand“. „Mit 40 muß der Mensch weitgehend mumifiziert sein, sonst erscheint ihm der Frühling als Zumutung“. Wenn dann bei einer St.Pauli Stippvisite „die äußersten Spritzer die Nase benätzen, hältst du das für eine artistische Glanzleistung“, weiß der Federschwinger. „Furchtlos in den Puffs dieser Welt und befangen nur auf den Parketten“, offenbart er sich.

Im Gegensatz zu Rühmkorf im Holzfällerhemd erscheint der frühere Zeit-Kultur-Chef Raddatz in feines Tuch gehüllt. Er verurteilt eine Verlagsparty, da „die Konzentration von in feine Tücher genähten Reaktionären“ nicht seine Sache sei. Auf der Frankfurter Buchmesse („Anrempelei von mindestens hundert Autoren oder Verlegern, wann ihr Buch endlich in der Zeit besprochen werde“) fühlt er sich „als Trampolin für alle und alles“. Dann schon lieber im „recht primitiven Haus“ von Günter Grass in Portugal. Der Rat des Gastgebers, er solle „seine intellektuelle Kraft und schöpferische Phantasie nicht an eine Zeitung verschwenden“, wirft die Frage auf: „refaire sa vie?“. Selbstzweifel plagen den Hengst der Literaturkritik natürlich keine. Beendet wurde die Lesung dann auch mit dem Hinweis „Diskutiert wird nicht!“. Kirsten Lösch