piwik no script img

Menschen im AKW-Rohr

■ Schleifen im DDR-Meiler Rheinsberg

Berlin (taz) – Mitarbeiter des ersten Atomkraftwerks der DDR im nordbrandenburgischen Rheinsberg wurden bis in die achtziger Jahre hinein regelmäßig zu Revisionsarbeiten durch das radioaktiv verstrahlte Rohrleitungssystem des primären Kühlkreislaufes geschickt. Sinn der martialischen Methode war es, eventuelle Risse insbesondere an den Schweißnähten der Hauptkühlmittelleitungen aufzuspüren und womöglich zu beseitigen. Vor der Aktion wurde das Wasser abgelassen und die innere Oberfläche mit einem chemischen Beizmittel von anhaftenden radioaktiven Partikeln gereinigt. Wie hoch die Strahlenbelastung nach dieser Prozedur noch war, ist nicht bekannt. Das berichtet der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) heute abend in einer Fernsehreportage über das 70-Megawatt-AKW sowjetischer Bauart.

Ein leitender Rheinsberger Ingenieur beschreibt die Methode in der ORB-Sendung so: „Man ist entweder vom Reaktor aus in die Hauptumwälzleitung eingestiegen oder man hat Armaturen ausgebaut und ist über diese Armaturen in die Leitung eingestiegen, die einen Durchmesser von 500 Millimetern hat, so daß man sich dort mit einem Prüfgerät beziehungsweise mit einer Schleifmaschine bewegen konnte.“

Die Mitarbeiter – teilweise handelte es sich um Angestellte einer jugoslawischen Auftragsfirma – lagen bei den Revisionsarbeiten auf einem „Transportsack“ und wurden mit einem Seil am Fußgelenk gesichert, um wieder aus den Rohren herausgezogen werden zu können.

In westlichen Reaktoren werden für diese Arbeiten sogenannte Rohrmäuse, mit Kameras ausgerüstete Roboter, eingesetzt, um Risse und sonstige Materialfehler an den inneren Oberflächen der Kühlmittelleitungen zu entdecken. Die Technik stand in der DDR nicht zur Verfügung. Da das Notkühlsystem des Rheinsberger Uraltreaktors aber nicht ausreichte, die Kühlung des Kerns bei einem An- oder Abriß großer Rohrleitungen zu gewährleisten, hätte ein solcher Unfall zwangsläufig den Supergau ausgelöst. Es war also für die Kernkraftwerker lebenswichtig, rißauslösende Fehler rechtzeitig zu erkennen.

Der Druckwasserreaktor, etwa 70 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegen, ging 1966 als erstes AKW der DDR in Betrieb und wurde Anfang Juni 1990 endgültig abgeschaltet. Inzwischen wird der Abriß der mitten im Naturschutzgebiet Stechlin-See gelegenen Reaktorruine vorbereitet. Die Betreiber rechnen damit, daß die Abrißarbeiten bis mindestens 2009 dauern werden. Nach Schätzungen des Brandenburger Umweltministers Matthias Platzeck (Bündnis90) wird der Abriß etwa 800 Millionen Mark kosten. Gero

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen