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Das richtige Wort zur richtigen Zeit

Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, füllt in Berlin die Vortragssäle/ Bubis versteht sein Amt als Vermittlungsinstanz zwischen Juden und Nicht-Juden  ■ Von Anita Kugler

Ignatz Bubis wohnt in Frankfurt, und sein Schreibtisch beim Zentralrat der Juden in Deutschland steht in Bonn. Trotzdem ist er weitaus öfter in Berlin zu hören als sein Vorgänger Heinz Galinski. Und der lebte in Wilmersdorf. Während Galinski die Medienredaktionen mit Stellungnahmen zu allen wichtigen Fragen beinahe überschüttete und immer sehr ungehalten hinterher telefonierte, warum dieses oder jenes nicht abgedruckt wurde, stellt sich Ignatz Bubis alle paar Tage vor ein Publikum und beginnt einen Dialog. Kürzlich im Roten Rathaus über die Asyldebatte, wenig später in der Freien Universität über den Rechtsextremismus, vorgestern abend im Paul-Löbe-Institut über Juden im neuen Deutschland, und demnächst wird er sich mit Jugendlichen in einer Berliner Schule über Ausländerhaß unterhalten. Und immer geschieht das gleiche. Die Vortragsräume sind überfüllt.

Werden die Juden schon wieder zu Opfern, hieß die diesmal im Löbe-Haus Bubis' vorgegebene Frage, und er beantwortete sie mit einem „Jein“. Denn zwischen dem latenten Antisemitismus und der virulenten Fremdenfeindlichkeit mochte er keinen Unterschied sehen. „Für viele ist der Jude ein Fremder“, sagte der Mann, der von sich sagt, „ich bin ein deutscher Jude“, und nicht „ich verstehe mich als deutschen Juden“. Und wie es Bubis' Art ist, nämlich nicht zu theoretisieren, sondern durch Anekdoten den Sachverhalt zu illustrieren, erzählte er Beispiele der alltäglichen Ausgrenzung. So habe ihm in der vergangenen Woche der Präsident des Fußballvereins Eintracht Frankfurt 150 Freikarten zugeschickt. Im Begleitschreiben habe der Präsident das Geschenk an den ihm gut bekannten Fußballfan Bubis als eine Solidaritätsaktion gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhaß angedient. „Meine Landsleute haben schon alle Karten“, habe Bubis ihm darauf geantwortet.

Und solch gut gemeinte Ausgrenzungen erlebe er täglich, die Botschaft sei: „Du fühlst dich vieleicht als Deutscher, aber für mich bist du ein Jude“ und damit ein Fremder. Bubis bezweifelte, daß es unter solchen Umständen jemals wieder ein selbstverständliches deutsches Judentum geben wird. Er empfinde diese Gedankenlosigkeit und Unwissenheit inzwischen fast als größeres Problem als die antisemitischen Schmähbriefe in seinem Briefkasten. „Hetzbriefe haben wir immer schon bekommen“, sagte er, „nur sagt es viel über das neue Klima in Deutschland aus, daß sie jetzt mit vollem Namen unterzeichnet sind.“

Aber Bubis war nicht ins Paul- Löbe-Haus gekommen, um seinen Zuhörern die Leviten zu lesen. Das ist nicht seine Art. Nicht als moralische Instanz für Deutschland und sein Verhältnis zu den Juden begreift er sein Amt, sondern als eine Aufklärungs- und Vermittlungsinstitution zwischen Juden und Nicht-Juden. Die ihm von der Politik zugeschobene Rolle des Mahners und Warners übernimmt er ganz selbstverständlich, ohne je in Heinz Galinskis Duktus zu verfallen. Nicht der erhobene Zeigefinger ist ihm eigen, sondern die Fähigkeit, zur richtigen Zeit das Richtige zu sagen. Und weil er das mit Souveränität und Charme tut, ist ein ganz neues Phänomen zu beobachten. Seine Zuhörer wollen von ihm genau das, was Heinz Galinski oft übelgenommen worden ist: Standpunkte und Ratschläge. Und diesem Bedürfnis folgt Bubis auch, wiederum in einer ganz anderen Art als der strenge und asketische Galinski. Nicht der Monolog ist ihm eigen, sondern der Dialog. Denn die Befangenheit zwischen Juden und Nicht-Juden müsse durch Gespräche aufgebrochen werden, sagte er, „sonst erhärten und verschärfen sich die Tabus“. Nicht Exklusivität forderte er, sondern Normalität.

Daß es bis dahin aber noch ein langer Weg ist, zeigt jede Veranstaltung, die Bubis bestreitet. Denn die Zuhörer diskutieren nicht mit ihm, reiben sich nicht an seinen Standpunkten, wie etwa dem, daß Rep-Chef Schönhuber nur noch ein „genetisches Problem sei“, sondern sie fragen ihn wie einen Briefkastenonkel: „Wer bezahlt die Rechtsradikalen“, und „Reicht das Strafrecht aus, die Gewalt zu bekämpfen?“ Aber daß auch Bubis' Hoffnung auf ein unbefangenes Verhältnis noch Fiktion ist, zeigte vorgestern die Frage eines Psychologen. „Ob die Juden nicht auch selbst Mauern um sich ziehen“ und die ständige Schuld der Deutschen brauchen, um sich als Juden definieren zu können, fragte er. „Ohne Erinnerung gibt es keine Erlösung“, antwortete Bubis und wich, indem er die Juden zu einem Kollektiv machte, der Frage nach dem jüdischen Selbstverständnis der Nach- Auschwitz-Generation aus.

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