Vergilbte Standbilder

■ Die Filme von Terence Davies

Terence Davies beginnt seine filmische Reise mit einer Schwarzweiß-Trilogie, in deren Zentrum die psychosexuellen Verstrickungen des Robert Tucker stehen. Tucker durchquert betrachtend- reflektierend einzelne Stationen seines Lebens, ist Erinnernder und Erinnerter zugleich. In „Children“ besteigt er mit seiner Mutter den Bus, den er am Ende als Erwachsener verläßt. In „Madonna and Child“ ist der Vierzigjährige als entsexualisierter Sohn der Mutter und als Homosexueller zu sehen. In „Death and Transfiguration“ ist das Tuckersche Universum ein komplexes Gewebe aus Erinnerungsfragmenten, die das Gesamte seines Lebens repräsentieren.

Die Kindheit ist der Ursprungsort von Traum und Trauma: In der Schule und zu Hause wird er geschlagen, verlacht, aber auch von männlichen Körpern erotisiert und verwirrt. Im Kontrast dazu gewährt die mütterliche Gegenwart Schutz. Aber auch die Mutter ist den Übergriffen der Männer ausgesetzt, so daß die Geborgenheit der Mutter-Sohn-Dyade immer wieder durch den Vater durchbrochen wird. Deshalb ist die Erlösung von der Angst der Untergang des Tyrannen.

Im zweiten Teil der Trilogie, „Madonna and Child“, ist die Mutter-Sohn-Dyade und der Katholizismus ästhetisches und inhaltliches Bezugssystem. Aus dem Dunkeln des Beichtraums führt uns die Kamera gleitend in den sexuellen Vorstellungsraum Tuckers hinein, wo er sich lustvoll in das verbotene Fleisch eines nackten Mannes gräbt, während wir weiter der Beichte lauschen. Die verbotenen homosexuellen Wünsche sind an Todesphantasien gekoppelt, münden in den Tod als höchste Strafe.

Während in der Trilogie Tucker Subjekt und Objekt der Erinnerung ist, sind es in „Distant Voices“, „Still Lives“ die vielen Mitglieder der Davies-Familie, deren Erinnerungen die filmische Erzählung strukturieren. Im ersten Teil von „Distant Voices“ kreisen die erinnernden Rekonstruktionen allesamt um die Vaterfigur, im zweiten Teil, „Still Lives“, steht die Mutter im Zentrum der Aufmerksamkeit. Hier sprechen die fernen Stimmen, die noch zu hören sind, vom Wiederholungszwang. Geradezu zwanghaft reproduzieren die Kinder patriarchale Strukturen. Sprechen haben sie nie gelernt, nur singend vermögen sie sich zu artikulieren. Die akustische Rhythmik gibt auch das Modell für die visuelle Verkettung der Bilder ab. Refrainhaft kehren wir immer wieder an den Ort des Geschehens, das Elternhaus, zurück. Dazwischen liegen die vielfach besungenen Einzelschicksale.

Davies' Bilder wirken in ihrer gelblichen Blässe und dem starren Arrangement der Figuren wie Fotografien eines alten Fotoalbums. Darin sind die Bilder selbst Zeichen von unüberwindlicher Vergänglichkeit.

In seinem neuesten Film „Am Ende eines langen Tages“ treibt Davies seine filmischen Mittel auf die Spitze. Nicht mehr die Erinnerungen interessieren ihn, sondern das Medium, in dem sie zum Leben erweckt und konserviert werden können: Das Kino ist sein Hauptdarsteller. Es wird in seine einzelnen Bestandteile Licht und Schatten, Stimmen und Geräusche zerlegt, die sich aber nicht mehr zu einem erzählerischen Ganzen zusammenfügen. Christiane Voss,

Barbara Eisenmann

Terence Davies: „Am Ende eines langen Tages“. Kamera: Michael Coulter. Mit: Marjorie Yates, Leigh McCormack, Anthony Watson. GB 1992, 84 Min.