„Fiat lux“ – Es werde Licht

■ Die Pustertal-Connexion: Ein Automobilkonzern läßt sich vom Staat eine Eisenbahnlinie bauen

Cui bono? Wem nützt es, wenn in Südtirol eine verrottete Bahnlinie ausgebaut wird? Das Südtiroler Pustertal im Norden Italiens, das vom Eisack/Isarco ostwärts zum österreichischen Osttirol strebt, entspricht so gar nicht dem Klischeebild des Landes, wo die Zitronen blüh'n. Dunkel dräut hier der Tann, fast wie zu den Zeiten, als Michael Gaismair die Tiroler Bauern in den Kampf gegen die habsburgischen Feudalherren führte. Nicht nur die glaubensverfolgten Pustertaler Hutterer, die später in den USA und in Kanada eine neue Heimat fanden, verließen aus ökonomischen und politischen Gründen das Tal südlich des Alpenhauptkammes.

Heute ist der Tourismus eine der wesentlichen Stützen der heimischen Wirtschaft. Während die Kurstadt Meran und das Burggrafenamt im westlichen Teil der Provinz Südtirol Hochburgen der Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland sind, wird das Pustertal gern von Italienern aus dem Rest der Republik besucht. Die nahen Dolomiten mit ihren klassischen Wintersportorten locken.

Täglich verkehrt ein direkter Schlaf- und Liegewagenzug der FS, der Ferrovie Italiane dello Stato, von Roma Tiburtina über Firenze, Bologna und Verona in das Val Pusteria, wie das Pustertal auf italienisch heißt. Ab Franzensfeste/ Fortezza, am westlichen Taleingang gelegen, wird dieser Zug zum Geisterzug, wie alle anderen, die durch das Pustertal fahren. Denn auf vielen Eisenbahnplänen ist diese Nebenlinie überhaupt nicht verzeichnet. Dennoch gehört die Pustertaler Bahn zum Besten, was das italienische Streckennetz aufweisen kann. Während in anderen Landesteilen Linien stillgelegt und Bahnhöfe aufgelassen werden, während Serviceleistungen abge- baut und die Fahrpreise erhöht werden, investierte die italienische Bahnverwaltung in die Pustertaler Nebenstrecke Milliardensummen. Ende der achtziger Jahre wurde die Linie elektrifiziert, neue Gleisbetten aufgeschüttet, Tunnels vergrößert und als jüngste Tat ein elektronisch gesteuertes Zugleitsystem installiert. Die Strecke zählt heute zu den modernsten in Italien. Cui bono?

Ortswechsel. Turin, die piemontesische Hauptstadt in Norditalien, ist nicht nur durch die Kicker des AC und Juventus Torino – derzeit Dritter und Sechster der italienischen Profifußball-Liga – in aller Munde. In Turin sitzt Signore Agnelli, Chef der Fabbrica Italiana Automobili Torino, wie der Vollname des Automobilkonzerns Fiat lautet. Und in der Autobranche kriselt es seit Jahren.

Ortswechsel. In Südschlesien, gleich hinter der Grenze, liegt eines der beiden Automobilwerke, die Fiat in Polen betreibt. Hier sind die Arbeitskräfte noch billig. 1987 hat der Turiner Agnelli mit dem polnischen Staat einen Vertrag geschlossen, in diesem Werk für den gesamten europäischen Markt den neuen Fiat-Cinquecento herzustellen. Seit März 1992 rollen die schnuckligen 500er vom Fließband der südschlesischen Fabrik direkt auf den 550 Meter langen Güterzug mit 40 Waggons. Der Lindwurm auf Schienen braust dann achtmal pro Woche auf dem kürzesten Weg quer durch die Tschechoslowakei und Österreich zur Bahnlinie im Pustertal, die auf Kosten des italienischen Steuerzahlers runderneuert wurde. Von dort geht es weiter nach Brescia und Cassino, den großen Fiat-eigenen Verteilerzentren.

Der nächste Coup ist bereits ge- plant, um die Pustertal-Connexion noch besser zu nutzen. Im zweiten polnischen Werk soll ab 1994 entweder der Fiat tipo oder der uno montiert werden. Die Einzelteile für die Produktion werden aus Italien stammen und sollen auf den Zügen, die heute noch leer nach Polen zurückrollen, transportiert werden.

Cui bono? Wem nützt der Ausbau der maroden Bahnstrecke im Südtiroler Pustertal, den der Staat finanzierte? Der Lateiner würde mit dem Leitspruch der privatwirtschaftlichen Autofirma antworten: Fiat lux. Reinhard Kuntzke