Stahlwerke: Lage (fast) hoffnungslos

■ Nach taz-Informationen geht's den Hamburger Stahlwerken schlechter als vermutet / Heute tagt Kreditkommission

schlechter als vermutet / Heute tagt Kreditkommission

Mit 41000 Mark Verlust je Mitarbeiter und fast 50 Mark je Tonne produzierten Stahl rauschen die Hamburger Stahlwerke (HSW) derzeit in eine abgrundtiefe tiefste Krise. Selbst mit den jetzt beantragten gewaltigen Hilfen der Stadt, darunter ein Strompreisverzicht der HEW und Pachtverzichte des Liegenschaftsamtes, ist bestenfalls eine schrittweise Verringerung der gewaltigen Verluste zu erreichen. Und dies auch nur, wenn das ehrgeizige Sanierungsprogramm erfolgreich umgesetzt wird: Nach 70 Mitarbeitern im Jahr 1992 sollen 1993 105 Mitarbeiter ihre Plätze räumen, ohne daß die Leistungsfähigkeit des Unternehmens am Dradenau-Hafen eingeschränkt wird. Fast wäre der Exitus bereits jetzt fällig gewesen: Nur mit dem Verkauf von drei Tochterfirmen und der Auflösung aller Reserven wird es gelingen, den Jahresverlust von 33 Millionen Mark aus der Stahlerzeugung auf einen Bilanzverlust von 8,6 Millionen Mark zu drücken.

Eine radikale und europaweite Krise: Zum dramatischen Konjunktureinbruch drängen Überkapazitäten aus dem Osten auf den Markt. Halten die Neuerwerbungen des italienischen Konzerns RIVA in Brandenburg und Hennigsdorf ihr aktuelles Preisdumping, an dem sich auch tschechische Stahlwerke fröhlich beteiligen, länger durch, können die HSW - Staatsknete hin, Arbeitsplatzvernichtung her - den Ofen ausmachen.

Wenn sich heute nachmittag das kleine feine Gremium der Hamburger Kreditkommission zu seiner 227. Sitzung im Sitzungssaal des 8. Stocks der Wirtschaftsbehörde zum einzigen Tagesordnungspunkt „HSW“ trifft, wird also wieder einmal industriepolitisches Roulette gespielt. HSW-Arbeiter, HSW- Bosse und Senat erflehen einträchtig Geld: 35 Millionen Mark brauchen die HSW pronto, sonst könnte ihr bereits 1993 das Licht endgültig ausgehen. Allein der Staat kann noch helfen: Selbst die Hamburgische Landesbank, nur dank einer großzügigen Bürgschaft der Stadt Hausbank der HSW, winkte entnervt ab. Nach „kaufmännischer Bewertung“, so heißt es dort, seien weitere Kredite an die HSW nicht zu verantworten. Wenn freilich die Stadt für weitere Kredite bürge, werde sich die Landesbank nicht zieren, den HSW das Geld zur Verfügung zu stellen - das Risiko trägt schließlich die Stadt, nicht die Bank.

Dies ist freilich, wie die Justiziare der Wirtschaftsbehörde mahnten, eigentlich ein Verstoß gegen den EG-Vertrag. Danach sind staatliche Hilfen für Betriebskosten und Investitionen unzulässig, soweit sie nicht zur Erfüllung von Umweltauflagen, Sozialplänen oder Werksschließungen dienen. In Hamburg wurde gegen diesen Grundsatz bereits zweimal massiv verstoßen: In den 70er Jahren, als die Stadt dem badischen Stahlindustriellen Willi Korf bei der Ansiedlung der Stahlwerke unter die Arme griff. Dann 1983, als die Stadt per Bürgerschaft Landesbankmillionen als Eigenkapitaldarlehen und Kreditrahmen an den SPD-Spitzenfunktionär Weiland und seinen Kompagnon Grosse ausschüttete. Der elegante Umweg über Kredit und Bürgschaft soll auch diesmal helfen. Ob die EG erneut darauf hereinfällt? Die Wirtschaftsbehörde sieht das „Risiko, daß die EG-Kommission Rückabwicklung verlangt“. Kurz: Die HSW müßte mit Geld, das sie nicht hat, die Kredite zurückzahlen. Noch kürzer: Konkursgefahr.

Selbst wenn die EG weiter still

1hält und die Kreditkommission heute nachmittag ihr Jawort gibt, sind die HSW keineswegs gerettet. Die Wirtschaftsbehörde resümiert besorgt: Selbst wenn die Kredite gewährt werden und das ehrgeizige Sanierungsprogramm der HSW erfolgreich umgesetzt wird „reichen die geplanten Maßnahmen nur knapp aus, eine zeitlich begrenzte Krisensituation zu überstehen.“ Es gehe deshalb zunächst vor allem darum, sich „Zeit für die Klärung der künftigen Marktteilnahme zu verschaffen“. Im Klartext: Unter günstigen Voraussetzungen reichen die Zusatzkredite gerade aus, um in zwei Jahren über die Betriebsstillegung zu entscheiden. Das hatten sich Weiland und Co ein bißchen

1anders vorgestellt: Sie wollten deshalb vom Senat nach bewährtem Muster des Jahres 1983 eine weitere Eigenkapitalerhöhung von 20 Millionen Mark spendiert bekommen. Dazu sagte der Senat allerdings vorerst nein.

Wie dünn das betriebswirtschaftliche Eis der HSW ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: In der Ära Weiland seit 1984 wurden nur in den Jahren 1984, 1989 und 1990 nennenswerte Gewinne im eigentlichen Stahlgeschäft gemacht, schon vor dem Krisenjahr 1992 überstiegen die Verluste die Überschüsse. Trotz dieser miserablen Perspektiven gilt ein „Ja“ der Kreditkommission als sicher. Eine Insiderin: „Die sagt

1doch nie nein.“ Kein Wunder: Diese Kommission, gestrickt nach dem Vorbild von Geheimdienstkommissionen, soll pikante Kreditdeals aus der öffentlichen Diskussion in der Bürgerschaft fernhalten. Gut 150 Millionen pro Jahr sind es, darunter nicht selten ganz faule Kredite, die so im 8. Stock der Wirtschaftsbehörde an der Öffentlichkeit vorbeigeschleust werden. Die Enquete-Kommission Parlamentsreform hat denn auch vorgeschlagen, dieses Relikt einer Kaufmannsoligarchie abzuschaffen: Obwohl das Gremium mit Parteivertretern bestückt ist, funktioniert es wie ein klammheimlicher Koalitionspartner des Senats. Motto: Dabeisein ist alles. Florian Marten